Wo die Wahrheit ruht
neugierig auf Grace war”, erklärte Denise. “Lassen Sie ihn also um Himmels willen in Ruhe. Der Junge hat schon genug durchgemacht.”
“Sie sollten ein wenig mehr Vertrauen zu mir haben, Denise.”
Denise reckte trotzig das Kinn. “Das werde ich, sobald Sie Fred freilassen.”
Der Beamte warf Denise einen undurchdringlichen Blick zu: “Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Ladies. Passen Sie gut auf sich auf.”
Grace wartete, bis er wieder verschwunden war, und fragte dann: “Bernie wird doch meinetwegen jetzt keine Schwierigkeiten bekommen, oder?”
“Nein, Josh ist zwar eine große Landplage, aber er hält, was er verspricht.” Sie nahm die Auflaufform mit der Lasagne und trug sie zum Tisch hinüber. “Wie sieht's mit eurem Hunger aus?”
“Ich bin schon am Verhungern”, erwiderte Grace und genoss die Vorfreude auf dieses köstliche Gericht.
“Na dann, nehmt Platz und – wie heißt es doch so schön auf Italienisch:
Mangiamo
!”
Ein kalter Wind wehte vom Fluss herüber, als Grace kurz nach zehn Uhr das Haus der Baxters wieder verließ. In Gedanken über diesen Abend verloren, wusste Grace nicht, was sie mehr genossen hatte, das Essen oder die nette Bekanntschaft. Auch Lucy hatte ihr besonders gut gefallen. Sie war zwar ein wenig still geblieben, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ihr Vater unter Mordverdacht stand, schien das nur allzu verständlich. Sie studierte Kunst und hatte, von Steven ermutigt, Pläne geschmiedet, für einen Sommer zum Malen in die Provence zu gehen. Doch die Ereignisse der letzten Tage hatten diese Pläne vorerst zunichte gemacht.
Trotz Denise' Untreue schienen die beiden Frauen ein gutes Verhältnis zueinander zu haben. Was insofern verständlich war, als Lucy bei ihrer Hochzeit erst zehn Jahre alt gewesen war.
Aus einigen Andeutungen in ihren Gesprächen hatte Grace jedoch geschlossen, dass das Verhältnis zwischen Denise und Lucys älterem Bruder Matt weniger harmonisch war.
In dem Moment, als sie den Autoschlüssel aus ihrer Tasche zog, hörte sie ein leises Rascheln, das von dem Pfad hinüberdrang, der hinter dem Gebäude am Kanal entlangführte. Im selben Augenblick entdeckte sie einen dünnen Lichtstrahl, der sich hin und her bewegte.
“Nicht schon wieder”, murmelte Grace leise.
Sie wollte schon den Brieföffner aus ihrer Tasche ziehen, als ihr Blick auf eine Schaufel fiel, die an der Seite des Gebäudes lehnte. So lautlos wie möglich packte sie sie fest mit beiden Händen und schlich mit angehaltenem Atem Richtung Pfad. Dank des schwachen Lichts der Straßenlaterne konnte sie den Eindringling dieses Mal sehen.
Er hatte ihr den Rücken zugewandt, hielt eine Stablampe in der Hand und ließ den Lichtkegel suchend über den mit Laub bedeckten Boden gleiten. Er schien völlig in seine Arbeit versunken. Groß und breitschultrig gebaut, bewegte er sich bis auf das leise Geräusch, das sie eben gehört hatte, völlig lautlos.
Eindeutig war er nicht Bernie Buckman, doch es
konnte
der Mann sein, der ihr die üble Beule am Kopf verpasst hatte.
Grace schwang die Schaufel wie einen Baseballschläger. “Keine Bewegung”, rief sie und bemühte sich, möglichst aggressiv zu klingen, “oder Sie sind diesmal derjenige, der zu Boden geht.”
11. KAPITEL
L angsam drehte der Mann sich zu ihr um. Doch anstatt zu flüchten, wie am Abend zuvor, blieb er dieses Mal stehen und musterte sie aufmerksam.
“Ihre Haltung ist ziemlich gut”, bemerkte er gelassen. “Haben Sie je dran gedacht, in die Profiliga zu wechseln?”
Grace war in diesem Augenblick überhaupt nicht zu Scherzen aufgelegt. “Gehen Sie zu der Straßenlaterne rüber, damit ich Sie sehen kann.” Sie schwenkte die Schaufel. “Und heben Sie die Hände hoch.”
“Ihr Wunsch ist mir Befehl.”
Lässigen Schrittes gehorchte der Fremde. Grace schätzte ihn auf Mitte dreißig bis Anfang vierzig. Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen, die sie eindeutig amüsiert anblickten. Auf seinem Gesicht lag ein leises, etwas schiefes Lächeln, das sie unter anderen Umständen sofort erwidert hätte – aber nicht unter diesen.
“Ihre Waffe sollten Sie besser runternehmen, sie könnte aus Versehen losgehen …”
“Und Sie sollten besser aufhören, Witze zu machen, und die Sache etwas ernster nehmen.”
“Tut mir leid.”
“Ist Ihnen klar, dass auf Einbruch Gefängnis steht?” Sie stützte die Schaufel auf die Schulter und hielt sie mit einer Hand fest, während sie mit der anderen ihr
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