Wo die Wahrheit ruht
die nun wieder ordentlich hintereinandergestapelt an der Wand lehnten. Aufmerksam und gründlich betrachtete er jedes einzelne. “Steven hatte sich offenbar auf Landschaftsbilder von Künstlern der Gegend spezialisiert.”
“Überwiegend schon.”
“Hat die Polizei alle seine Unterlagen beschlagnahmt? Verträge, Telefonverzeichnisse, Rechnungen?”
“Sie haben vieles mitgenommen, aber einen Teil habe ich schon zurückbekommen.”
“Sein Laptop?”
“Ist noch immer auf dem Revier, sein Handy ebenfalls.”
Ihr eigenes Telefon klingelte. Sie nahm einen Schlüssel von ihrem Schlüsselbund und reichte ihn Matt.
“Was ist das?”
“Der Schlüssel zum unteren Aktenschrank des Schreibtischs.” Sie warf einen Blick auf das Display und erkannte Angies Nummer. “Den Anruf muss ich unbedingt entgegennehmen”, sagte sie.
Sie kehrte nach vorne in den Ausstellungsraum zurück. “Hallo, Angie.”
“Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde. Mein Computer ist abgestürzt, und deshalb musste ich ins Museum, um die Informationen zu beschaffen, nach denen du gefragt hast.”
“Warst du erfolgreich?”
“Die Arroyo-Ausstellung, die du erwähnt hattest, fand im Frühjahr des Jahres zweitausend im Griff Museum statt. Das betreffende Bild, 'Markttag', war eines der insgesamt zweiundvierzig ausgestellten Exponate. Damals hat es einem gewissen Ronald Sutherland gehört, der es uns als Leihgabe, zusammen mit zwei anderen Arroyos, überlassen hat. Sutherland ist vor ungefähr einem Jahr gestorben. Deshalb kann es gut möglich sein, dass das Bild entweder privat oder bei einer Auktion den Besitzer gewechselt hat. Ich habe versucht, seine Witwe zu erreichen, um mehr zu erfahren, aber Mrs. Sutherland hält sich gerade in Japan auf und kommt erst nach Thanksgiving zurück.”
“Hast du eine ungefähre Vorstellung davon, wie viel das Gemälde zurzeit wert ist?”
“Bei der Ausstellung damals wurde sein Wert auf fünfundachtzigtausend Dollar taxiert. Ich habe einen Freund in Kalifornien kontaktiert, einen Spezialisten für Kunst des amerikanischen Westens. Er meinte, da 'Markttag' das letzte Bild einer Serie sei, dürfte es inzwischen nicht unter einhunderttausend Dollar zu handeln sein. In Anbetracht von Arroyos Popularität”, fuhr Angie fort, “kann ich mir nicht vorstellen, warum jemand es für weniger verkaufen will. Es sei denn, Steven oder der Händler – oder beide zusammen – sind an einem möglichst schnellen Verkauf interessiert.”
Grace beobachtete, wie Matt einen der Ordner aufschlug. “Danke, Angie. Du bist ein Schatz.”
“Hey, nicht so schnell, Grace. Wie ist es denn in New Hope so?”
In diesem Augenblick hob Matt den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Sie lächelten sich zu. “Voller Überraschungen”, antwortete sie.
“Erzähl.”
“Nicht jetzt. Später. Gute Nacht, Angie. Ich schulde dir ein Abendessen.”
“Nur, wenn du nicht vorhast, es selbst zu kochen.”
“Klugscheißerin.”
Sie beendete das Gespräch und kehrte zum Schreibtisch zurück. “Haben Sie schon was gefunden?”
“Nichts von Interesse.” Er überflog eine Rechnung. “Macht es Ihnen Spaß, die Hatfield Gallery zu leiten?”
“Ich hatte bis jetzt noch keine Zeit, mir dazu eine Meinung zu bilden. Die Galerie ist im Moment noch geschlossen.”
“Waren Sie denn schon einmal hier? Als Steven noch gelebt hat?”
Sie setzte sich auf die Kante des Schreibtisches. “Nein.”
Er klappte den Ordner zu und öffnete einen neuen. “Erzählen Sie mir vom Griff. Seit wann arbeiten Sie dort?”
“Seit vier Jahren.”
“Und davor?”
“Drei Jahre habe ich als Archivarin bei der Poltiss Foundation gearbeitet. Und davor war ich in der Beacon Hill Gallery angestellt.”
Er schaute auf und lächelte. “Haben Sie dort Steven kennengelernt?”
“Nein. Ich habe Steven zum ersten Mal bei einer Auktion in Philadelphia getroffen. Er besuchte damals die Kunstschule. Nachdem er mich getroffen und ein paar Wochenenden in Boston verbracht hatte, beschloss er, zu mir zu ziehen.”
“Und dann haben Sie sich verlobt.”
Es beeindruckte sie, wie mühelos er gleichzeitig reden und arbeiten konnte, insbesondere, da seine Arbeit Konzentration verlangte. Mit einem Mal wurde Grace bewusst, dass sich die scheinbar harmlose Plauderei ausschließlich um sie drehte. Wollte er nur höflich sein, oder steckte mehr dahinter? Sie setzte ein ebenso unschuldiges Lächeln auf wie er und fragte: “Warum interessiert Sie das so
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