Wo die Wahrheit ruht
Matt. “Dein Wahlkampf für die nächste Amtsperiode beginnt erst nächstes Jahr, also entspann dich.”
“Ich sehe, Sie beide haben sich noch viel zu erzählen”, sagte Grace und erhob sich von ihrem Stuhl. “Und ich muss mich um die Galerie kümmern. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mr. Renchaw. Matt, vielen Dank für den Lunch.”
“Gern geschehen. Lassen Sie es uns wiederholen.”
George blickte ihr nach und setze sich auf den frei gewordenen Stuhl. “Sie ist ein echter Hingucker.” Seine Augen blitzten, als er Matt ansah. “Läuft da was zwischen euch beiden?”
“Nicht, dass es dich was angehen würde, aber die Antwort lautet Nein. Ich kenne sie erst seit vierundzwanzig Stunden.”
George strich seine Krawatte glatt. “Schon als ich Louise das erste Mal sah, habe ich auf der Stelle gewusst, dass ich sie heiraten wollte.” Das Klingeln seines auf dem Tisch deponierten Mobiltelefons unterbrach ihn. Er warf einen Blick auf den Namen im Display und seufzte. “Thelma aus dem Rathaus. Den Anruf muss ich annehmen.”
“Nur zu.”
Während George sich wortreich um das Treffen einer Bürgerinitiative drückte, lehnte sich Matt mit der Kaffeetasse in der Hand zurück. George hatte viel erreicht. Als Einserschüler auf der Highschool hatte er ein Stipendium für Harvard bekommen und Jura studiert. Zwei Wochen nach seinem Studienabschluss war er von einer großen New Yorker Anwaltskanzlei eingestellt worden, in der er es bis zum Partner gebracht hatte.
Doch nach siebzehn Jahren und zwei Herzinfarkten hatte George den Stress hinter sich gelassen und war zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Er betrieb nun in seiner alten Heimatstadt noch immer eine Kanzlei, hatte aber sein Arbeitspensum deutlich zurückgeschraubt. Kurz vor seiner Pensionierung vor zwei Jahren hatte ihn der damalige Bürgermeister gefragt, ob er nicht für das frei werdende Amt kandidieren wolle.
Nachdem sein Arzt ihm versichert hatte, dass er der zusätzlichen Aufgabe gesundheitlich gewachsen sei, hatte George sich dazu bereit erklärt. In seinem Amt hatte er sich bewährt. Kurz nach seiner Amtsübernahme hatte er die Gehälter von Polizei und Feuerwehr aufgestockt, der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ohne vorherige Ausschreibung den Riegel vorgeschoben und dafür gesorgt, dass die Straßen während der Wintermonate ordentlich geräumt wurden. Sein Plan, die örtliche Highschool um ein neues Gebäude an der Route 202 zu erweitern, war zunächst auf Widerstand gestoßen, doch nachdem die Skeptiker Pläne
und
Kostenkalkulation studiert hatten, war der Antrag ohne Schwierigkeiten angenommen worden.
“Bist du immer so im Stress?”, fragte Matt, als George das Telefonat endlich beendet hatte. “Oder willst du nur vor mir angeben?”
“Kommt darauf an. Bist du beeindruckt?”
“Total.”
George lachte und schob das Telefon zurück in seine Tasche. “Die Sache mit deinem Dad tut mir aufrichtig leid, Matt”, sagte er mit plötzlichem Ernst.
“Danke, aber er hat Steven Hatfield nicht umgebracht.”
“Das weiß ich doch. Josh genauso, obwohl er es nicht zugeben will. Er hat deinen Dad nicht verhaften wollen, aber verdammt, Mann, so wie dein Vater mit wutverzerrtem Blick aus dem Pub stürmte …”
“Er ist nach Hause gefahren, um Denise zur Rede zu stellen.”
“Beweisen kann er's aber nicht. Für die Zeit, nachdem er das Pub verlassen hat, bis zu dem Augenblick, als die Polizei kam, um ihn zu verhaften, fehlt ihm jegliches Alibi.”
Matt beugte sich vor; seine Stimme war kaum wahrnehmbar. “Jemand hat ihm die Sache vorsätzlich angehängt, George. Wer auch immer das war, er hat es sehr geschickt angestellt. Er kannte die Gewohnheiten meines Vaters, wusste, wo er seinen Revolver versteckt hält und dass er vor Wut explodieren würde, wenn er von Denise' Affäre erfährt.”
Er richtete sich wieder auf. “Die Badger-Brüder hängen da auch irgendwie mit drin.”
“
Was
?”
“Warum hätten sie sich für ihre Lästereien über Denise sonst ausgerechnet den Moment ausgesucht, als mein Vater das Pub betrat?”
“Um ihn zu ärgern. Sie haben ihn noch nie leiden können, das weißt du doch. Zu der Zeit, als dein Vater Polizeichef war, haben die beiden mehr Zeit im Knast als in ihren Jobs verbracht.”
“Ich denke nicht, dass das der wahre Grund ist”
George blickte sich um, als ob er sich vergewissern wollte, dass niemand sie belauschte. “Hör mal, Matt, Josh lässt dir hier ziemlich freie Hand, und
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