Wo die Wahrheit ruht
schon nichts. Los, hol ein paar Decken.”
Schnell reichte Grace das Wasser bis zur Taille. Sie kämpfte sich an den Wagen heran, indem sie langsame, vorsichtige Schritte machte und ihre Arme über der Wasseroberfläche ausstreckte, um das Gleichgewicht besser halten zu können. Die Strömung war stark, hatte den Wagen zum Glück aber noch nicht mit sich fortgerissen. Insgeheim dankte sie ihrem Vater, der so hartnäckig darauf bestanden hatte, dass sie vor Jahren mehrere Lebensrettungskurse absolvierte. Diese Übungen halfen ihr jetzt weiter – auch wenn die Rettung eines Ertrinkenden aus einem sinkenden Wagen im Fluss nicht auf ihrem Trainingsplan gestanden hatte!
Der Wasserspiegel im Wageninneren stieg bedrohlich an. Mittlerweile war nur noch Bernies Kopf zu sehen. Seine Todesangst war ihm deutlich anzusehen. Er rief ihr etwas zu. Grace konnte seine Worte zwar nicht verstehen, aber sie konnte sie von seinen Lippen ablesen: “
Ich krieg die Tür nicht auf
!”
Sie klopfte sich auf die Brust, um ihm zu signalisieren, dass sie einen Versuch starten würde.
Doch ausgerechnet in dem Moment, als sie die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, ertönte ein lautes gurgelndes Geräusch, und der Wagen verschwand komplett unter der Wasseroberfläche.
16. KAPITEL
“I ch brauche Hilfe”, schrie Grace über ihre Schulter. “Denise, komm her.”
“
Ins Wasser
?”
“Ja, ins Wasser. Ich versuche, die eine Tür aufzuziehen, du probierst die andere.” Grace hielt den Wagenheber fest umklammert, um ihn, wenn nötig, einzusetzen.
“Ich kann nicht schwimmen!”
Sie konnte nicht schwimmen
?
Das gab es doch nicht
! “Es ist nicht sehr tief. Du brauchst bloß die Luft anzuhalten und das Gleiche zu tun wie ich.”
Denise schüttelte den Kopf und trat einige Schritte zurück. “Das kann ich nicht. Ich habe eine Heidenangst vor Wasser.”
Grace holte tief Luft und tauchte unter.
Der Wagen war bis auf den Boden des Flusses gesunken, der aber an dieser Stelle glücklicherweise nicht sehr tief war.
Grace packte den Türgriff und versuchte die Tür aufzuziehen, aber sie bewegte sich nicht.
Ihre Lungen fühlten sich an, als würden sie jeden Augenblick platzen. Doch ein kräftiger Schlag mit den Beinen brachte sie zurück an die Oberfläche. Grace holte noch einmal tief Luft und tauchte sofort wieder unter. Nur am Rande nahm sie wahr, dass Denise ihr etwas hinterherschrie. Diesmal versuchte Grace ihr Glück an der Beifahrertür, doch auch diese klemmte fest.
Sie schwamm zurück zur Fahrerseite und zwang sich, Ruhe zu bewahren. Auf der Stelle schwimmend, signalisierte sie ihm, sich möglichst weit vom Fenster zu entfernen. Die ganze Zeit über vermied es Grace, Bernie in die Augen zu schauen, in denen sie schon zuvor seine Todesangst hatte leuchten sehen. Dann umklammerte sie den Wagenheber fest mit beiden Händen und schlug die Scheibe ein.
Das hineinschießende Wasser drückte Bernie nach hinten, doch als sich der Druck im Wageninneren angeglichen hatte, gelang es Grace, die Tür zu öffnen und Bernie herauszuziehen.
Sie schlang ihre Arme um seine Hüfte, paddelte einmal kräftig mit den Beinen, dann noch einmal. Endlich durchbrachen sie die Wasseroberfläche.
Nach wenigen Schwimmzügen erreichten sie festen Boden. Grace hievte sich und Bernie, den sie noch immer krampfhaft umschlungen hielt, auf das nasse Gras und fiel erschöpft auf die Knie.
Denise kam sofort angerannt und legte ihr eine Decke um die Schultern, während Maureen sich um Bernie kümmerte. “Du Wahnsinnige”, sagte Denise. “Du hättest ertrinken können.” Sie kniete sich neben Grace. “Alles okay mit dir?”
“Ja.” Grace schnappte keuchend nach Luft und hob den Kopf. “Kannst du wirklich nicht schwimmen?”
“Nicht das kleinste Bisschen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass ich mich so nah ans Wasser herangewagt habe, ohne eine Panikattacke zu bekommen.”
“Ich kenne niemanden, der nicht schwimmen kann.”
“Mit acht Jahren wäre ich beinahe ertrunken. Es hat ein Jahr gedauert, bis ich den Mut aufgebracht habe, in eine Badewanne zu steigen. Tut mir leid. Ich war keine große Hilfe, nicht wahr?”
“Mach dir darüber keine Gedanken. Bernie ist gerettet, das allein zählt.” Grace drehte sich zu dem Mann um, den sie aus dem Wasser gezogen hatte. Abgesehen von ein paar Schnittwunden an den Händen, die von den Scherben der Fenster stammten, schien es ihm ganz gut zu gehen.
“Da kommen sie”, rief Maureen, als Sirenengeheul durch
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