Wo die Wasser sich finden australien2
Ich glaube auch
nicht, dass sie je wirklich für Dad da war … nicht mit Leib und Seele. Sie ist immer vor allem davongelaufen.«
»Hört sich nach jemandem an, den ich kenne«, sagte Charlie tonlos. Rebecca blitzte ihn zornig an.
»Früher habe ich Dad die Schuld an allem gegeben, verstehst du? Immer war Dad an allem schuld. Aber inzwischen … inzwischen habe ich das Gefühl, dass ich zu begreifen anfange.«
»Zum Tango braucht man immer zwei«, kommentierte Charlie.
Rebecca verstummte und dachte an ihre Mutter und ihren Vater, die so viele Jahre mit ihnen zusammen unter einem Dach gelebt hatten. Vielleicht täuschte sie die Erinnerung. Ihr ganzer Körper schien unter Spannung zu stehen. Sie bremste nicht ab, als ihnen auf dem schmalen Asphaltstreifen ein Laster entgegenkam. Die Räder des Subaru schleuderten Staub und Schotter auf, als sie über das Bankett rasten, um den Truck passieren zu lassen.
»Vielleicht sollte lieber ich fahren«, meinte Charlie freundlich. »Du bist zu aufgeregt.«
»Hör auf, mich zu bevormunden, Charlie Lewis.«
»Du solltest Fürsorge nicht mit Bevormundung verwechseln, Rebecca Saunders«, erwiderte Charlie schlagfertig und entlockte ihr damit wider Willen ein kleines Lächeln.
Als sie in der ersten Stadt auftankten, tauschten sie die Plätze. Während sie aus dem Ort hinausfuhren, streichelte Bec zärtlich Charlies Nacken und lächelte ihn an. Er erwiderte ihr Lächeln. Dann ließ sie den Kopf gegen die Nackenstütze sinken, schloss die Augen und hielt die Tränen zurück. Sie hatte Angst vor dem, was sie im Krankenhaus erwarten mochte.
Charlie und Rebecca traten zur Seite, um einen hellblau uniformierten Mann mit seinem Handwagen vorbeizulassen.
Der Krankenhausgeruch ließ Rebecca das Gesicht verziehen. Es war, als dürfte sie nicht zu tief einatmen, sonst würde sie ebenfalls krank und säße zusammen mit den Gebrechlichen, Alten und Sterbenden in diesen kalten Mauern fest. Eine Frau in einem schäbig aussehenden Morgenmantel schlurfte vor ihnen den Korridor entlang, einen Infusionsständer neben sich herführend. Ihr Gesicht war eingefallen und fahl. Sie sah Rebecca wütend an, als könnte sie deren Gedanken lesen.
»Ich hasse Krankenhäuser«, flüsterte Rebecca Charlie ins Ohr.
Der Korridor öffnete sich in einen weitläufigen Empfangs-und Wartebereich. In einer Ecke sah sie Sally auf einem unförmigen Stuhl sitzen. Sie hatte sich nahe der Empfangstheke neben einer Statue der Jungfrau Maria niedergelassen. Maria hatte den verschleierten Kopf gesenkt, als würde sie ernst auf Sally herabsehen. Als Sally aufstand, wurde Rebecca bewusst, wie dünn sie geworden war und wie blass sie aussah, doch aus ihren Augen leuchteten Wärme und aufrichtige Freude, ihre Freundin wiederzusehen. Sie fielen sich in die Arme.
»Charlie«, begrüßte Sally ihn warmherzig und schloss ihn ebenfalls in die Arme.
»Entschuldige, dass wir so spät kommen – der Verkehr«, sagte er.
»Schon okay. Ich habe währenddessen mit der Jungfrau hier geplauscht.« Sie beugte sich vor und flüsterte ihnen zu: »Ehrlich gesagt ist sie eine ziemliche Trantüte – wir haben nicht wirklich viel gemeinsam.«
»Das hätte mich auch gewundert«, lächelte Bec. »Du hättest reingehen und Dad besuchen sollen, statt auf uns zu warten und mit der Jungfrau zu quatschen.«
»O nein! Ich hasse es, jemanden im Krankenhaus zu besuchen. Ich dachte, ich warte lieber auf euch. Außerdem habe
ich nachgefragt, wo er liegt, und zur Antwort bekommen, dass nur die engsten Verwandten zu ihm dürften.«
»Als wäre ich mit ihm besonders ›eng‹«, kommentierte Rebecca sarkastisch. »Du kommst auch mit, Sal, du bist seine Beraterin, vergiss das nicht.« Rebecca kniff sie in den Arm.
»Seine Agrarfinanzberaterin wohlgemerkt, nicht seine Gesundheitsberaterin. « Sie sah Rebecca an und gab sich geschlagen. »Na schön. Er liegt im zweiten Stock.« Sie nickte zu den Aufzügen hin.
Die drei gingen schweigend hinüber, alle in stiller Angst, was sie auf der Station zu sehen bekommen würden. Im Edelstahlgehäuse des Lifts bekam Bec kaum noch Luft. Sie griff nach Charlies Hand. Er drückte sie fest. Als die Türen aufglitten, sagte Sally: »Ihr geht erst mal rein und seht nach ihm. Ich warte draußen.«
»Nein. Nein, Sal. Du kommst mit. Ich brauche euch beide.« Rebeccas blaue Augen flehten sie an.
Zunächst huschten Rebeccas Augen in dem großen Krankensaal über den alten Mann hinweg, der auf mehrere Kissen gestützt in
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