Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Seele?
Im Nu bringen sich alle in Position. Schon geht es los. Der drahtige Mann gibt das Kommando. Er heißt Halldór, wird aber von allen Dóri genannt. Er ruft und rudert mit den Armen, macht die Übungen vor und alle machen mit. Vorwärtsbeuge, Arme heben, zur Seite strecken, nach vorne schwingen, zack, zack, zack, dann Kniebeugen, die Windmühle, eine Art Kriegerpose, ein hektischer Hampelmann, Liegestütze. Die ganze Gruppe ist voller Inbrunst dabei und zählt bei jeder Übung lauthals mit: Einn, tveir, þrír ... Das Ganze läuft in rasantem Tempo ab. Ich komme kaum hinterher. Alle anderen schon. Die Choreografie scheint einstudiert zu sein. Was auch stimmt, wie ich später erfahre. Doch vorerst muss ich noch einen Moment durchhalten und weiterhin in nassen Badeklamotten Gymnastik machen, während mir ein eisiger Wind um die Ohren pfeift. Die Isländer haben echt einen Knall, denke ich. Wobei es zugegebenermaßen auch Spaß macht. Es wird gejauchzt, gelacht und bei der letzten Übung fangen alle an zu singen. Nach ungefähr sieben Minuten ist die Gymnastikeinlage zu Ende. Als Nächstes betritt ein Mann im schwarzen Pulli und in schwarzer Hose die Szene. Er trägt ein Tablett mit kleinen Plastikbechern, in denen frischer Kaffee dampft, den er den Damen anbietet. Dann geht es zurück in den heißen Pott. Und was soll man sagen? Man fühlt sich großartig. Wach und erfrischt und stark wie nie.
»Was habt ihr gesungen?«, frage ich die Frau mit den roten Haaren. »Oh, wir haben uns Reime ausgedacht«, sagt sie. Dann erzählt sie, wie das alles hier kam. Dóri geht jeden Morgen laufen und danach mit seinen Kumpels in den heißen Pott. Dabei haben sie sich irgendwann das Gymnastikritual ausgedacht und das zelebrieren sie schon seit 28 Jahren. Doch wir werden unterbrochen.
Denn jemand tritt an den heißen Pott. »Es ist der Ringrichter«, flüstert mir die Frau zu. Sein Urteil: »8,9«. Also sehr gut, fast so gut, wie sonst nur freitags, was traditionell der beste Tag ist. »Ob er keine Gymnastik mag?«, frage ich ihn. »Einer muss es ja tun«, antwortet der Mann und zuckt mit den Schultern. »Einer muss ja Ringrichter sein.« Der morgendliche Ablauf sei jeden Tag der gleiche und jeder habe eine feste Aufgabe, erklärt er grinsend. Die Show dauert ungefähr eine Stunde. Nach der Gymnastik gehen die Männer noch Schwimmen, dann Kaffeetrinken und Duschen. Den Abschluss bildet die Aftershave-Session. Und ganz wichtig: Donnerstag ist Wiegetag. Wer nicht anwesend ist, bekommt ein »geschätztes Gewicht« (meist zehn Prozent mehr), anschließend wird der Diätplan der kommenden Woche besprochen. »Das hier ist wie ein Manuskript, weißt du!«, sagt der Ringrichter. »Allerdings ging es verloren. Jetzt wird es mündlich weitergegeben.«
»Und der Mann in Schwarz, wer ist das?« – »Das ist der Pastor«, erklärt mir die Frau mit den roten Haaren. »Morgens ist er hier der Kellner.« Was man auch als hübsche Anspielung auf die Multitasking-Fähigkeiten verstehen kann, die jeder in einer so kleinen Gesellschaft mitbringen muss. Schon in Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde wird dies erwähnt, dort kommt ein Pfarrer vor, der zugleich Schmied, Fischer, Jäger und Zimmermann ist. »Den Kaffee bekommen aber nur die Ladys«, erklärt meine Gymnastikgenossin und erzählt stolz, welche Frau sich vor etlichen Jahren als Erste getraut hat, bei der Gymnastik der Männer einfach mitzumachen. Es war Vigdís Finnbogadóttir, die ehemalige Präsidentin. Sie hat auch mitgemacht, als sie schon Präsidentin war? »Jau, jau«, sagt die Frau. Und dann haben auch andere Frauen angefangen, mitzumachen. Ein Teil der isländischen Emanzipationsbewegung fand also ganz offensichtlich
im Schwimmbad statt. Ebenso wie ein Teil der Krisenbewältigung. Als die Banken verstaatlich wurden und Island in die Krise rauschte, sagte Dóri morgens: »Das hier lassen wir uns nicht nehmen, egal, wie es gerade ist! Die Krise nimmt uns nicht die Gymnastik weg! Hierhin lassen wir die Depression nicht kommen!«
»Die Schwimmbäder sind also nach wie vor Quell von Energie und Wirschaftlichkeit. Deshalb sind wir die Gesündesten, Langlebigsten und Schönsten auf der ganzen Welt«, sagt ein Mann, der ebenfalls im heißen Pott sitzt. Er grinst. »Nicht mehr die Reichsten, allerdings«, räumt er ein. »Jau«, seufzt eine Frau im Becken mit rosigem Gesicht. »Das denken wir gern von uns, dass wir die Besten sind auf der Welt.« Sie kichert und fügt hinzu:
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