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Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Titel: Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Walter
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aber sie taten etwas, das man damals einfach nicht tat – sie schrieben Prosa! Sie gaben sich selbst die dichterische Freiheit, sich alles Mögliche auszudenken.« Und auch das taten sie, nimmt Sigurður an, lieber ohne dass der Papst in Rom davon erfuhr. Bevor es Ärger gab.
    Warum aber hatten sie so ein Verlangen, zu schreiben und Geschichten über die Landnahme und das Leben auf Island zu erzählen, die eine Mischung waren aus wahren Begebenheiten und Dichtung? Das könnte wiederum damit zusammenhängen, dass die Isländer nicht den besten Ruf genossen. Sie galten als geflohene Mörder und Barbaren und sehnten sich nach einem besseren Ansehen. Weshalb in den Sagas oft daran erinnert wird, wer sie wirklich einmal waren. Und zwar selbstverständlich: Nachkommen nobler Familien aus Norwegen und dem keltischen Raum, darunter Königskinder und Blaublüter jeglicher Art. »Stimmt denn das?«, frage ich Sigurður. »Es ist alles Legende! «, sagt er. Und damals war man sich dessen auch bewusst. Aber die Sache sei zugleich auch kompliziert. Denn ein paar Jahrhunderte später wurden die Sagas tatsächlich als historische Quellen eingesetzt. Und zwar als es wieder einmal schlecht um den Ruf der Isländer stand. Im 16. und 17. Jahrhundert nach der Entdeckung der neuen Welt wurde es literarische Mode, von Reisen abenteuerliche Berichte mitzubringen. Und das, was die Leute damals über Island behaupteten, war wirklich abenteuerlich. Dort oben auf jener einsamen Insel im Nordmeer würden Menschen mit zwei Köpfen leben, regelrechte Monster, hieß es. Vor den Küsten gäbe es Wale, die ganze Schiffe fressen, und in den Vulkanen könne man den Teufel singen hören. Die Isländer, so schrieben ausländische Reisende, seien die niedrigste Gesellschaft
der Welt und hätten nicht das geringste Benehmen. Das konnten sie sich natürlich nicht gefallen lassen. Nun hielten sie mit ihren Sagas dagegen, die von der Besiedlung Islands erzählten und ihrer noblen Abstammung. Sie waren zwar nur in Prosa abgefasst, aber das war jetzt egal. Sie wurden gebraucht als, wenn man so will, eine frühe Form des Marketings.
    Der isländische Autor Einar Kárason hat es auf einer Lesung kürzlich einmal so ausgedrückt: »Die Isländer hatten anfangs nicht den besten Ruf, es waren Mörder, Diebe und so weiter. Und so mussten wir schreiben, um zu erzählen, wie nobel wir waren. Daraus wurde eine weltberühmte Literatur. Die letzte Zeit war unser Ruf okay. Bis vor Kurzem. Bis zur Bankenkrise. Jetzt hat sich herumgesprochen, dass wir nicht so gut sind als Banker. Also kehren wir zu dem zurück, was wir können und schon immer gemacht haben: Literatur.« So gesehen war es natürlich ein genialer Wink des Schicksals, dass Island, nachdem eine seiner Banken im Jahr 2008 von den Briten durch Anwendung eines Antiterrorgesetzes eingefroren wurde, im Jahr 2011 Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse war, wo die Islandsagas übrigens in neuer Übersetzung erscheinen.
    Auch dafür, dass die Geschichten der isländischen Sagas vor allem von Familienkonflikten und Rache erzählen, gibt es übrigens eine Erklärung. »Wir hatten keinen König, keinen Herrscher«, erklärt Sigurður, »also war ein Verbrechen immer gegen ein Individuum gerichtet, nicht gegen die Obrigkeit. Und das Individuum war Teil einer Familie, also musste die Rache nehmen. « Es ging also immer um Familienbünde, Stolz und Ehre. Was für manche die nächste Parallele zu Sizilien ist. »Einen guten Mafiafilm zu gucken, ist in etwa so, wie eine Islandsaga zu lesen«, sagt Sigurður im Spaß.
    »Und was sagst du zu den Elfen?«, frage ich ihn. Er sagt: »Für
mich ist das Dichtung! Das sind ursprünglich Geschichten von Leuten, die nach Erklärungen suchten, für das, was in der Natur vor sich ging. Versuche, unerklärliche Dinge zu verstehen. Aus einem seelischen Bedürfnis heraus.« Tja, und glaube man nun, was man wolle. In genau diesem Moment passiert etwas sehr Eigenartiges. Urplötzlich bricht ein Hagelsturm los, der mit solch einer Macht auf das Dach des Sagazentrums hämmert, dass wir kaum noch unsere Worte verstehen. Wir schauen uns an und müssen lachen. Denn der Hagelsturm wirkt in der Tat wie ein Protestschrei von oberster Stelle. Und was noch viel rätselhafter ist: Ich habe das Gespräch mit Sigurður auf Band aufgenommen. Aber die Episode mit dem Hagelsturm ist nicht dabei. Aus unerklärlichen Gründen. Einfach verschwunden.

Sie fehlen uns Deutschen, die Elfen
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