Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
bestimmten Thema schreibe – sagen wir, über die außerordentliche Fähigkeit des menschlichen Gehirns, Gesichtsausdrücke zu interpretieren –, füge ich ihn dem Archiv hinzu und gebe DEVONthink den Auftrag, nach Passagen mit ähnlichem Inhalt zu suchen. Sofort erscheint eine Liste von Einträgen. Manche haben die neuronalen Verschaltungen zum Thema, die unsere Mimik steuern, andere behandeln die evolutionsgeschichtliche Entwicklung des Lächelns, und in wieder anderen geht es um die Mimik von Schimpansen, die ja sehr nahe mit uns verwandt sind. Jedes Mal löst mindestens eines der Suchergebnisse eine neue Assoziationskette in meinem Kopf aus. Also klicke ich es an und sage der Software, sie soll weitere, ähnliche Passagen suchen. Schon bald kristallisiert sich ein Gedanke heraus, der auf inhaltlichen Gemeinsamkeiten fußt, die der Computer für michgefunden hat. Vergleichen wir diese Methode mit der Art, wie wir normalerweise nach Dateien suchen. Nicht selten stehen wir kurz davor, den Computer – diesen ergebenen, aber nicht allzu schlauen Diener – anzuschreien: »Finde endlich diesen verdammten Text!« Das ist Suchen. Die oben genannte Methode fühlt sich da schon ganz anders an, so anders, dass wir nicht einmal ein Wort dafür haben. »Freies Assoziieren« oder »Erforschen« vielleicht. Natürlich gibt es Fehlschläge und falsche Fährten, aber mindestens genauso viele Glücksfunde und unerwartete Entdeckungen. Das Überraschende an den Suchergebnissen ist es ja gerade, das sie so wertvoll macht. Die Serendipität der Methode beruht auf zwei ganz bestimmten Eigenschaften: Der semantische Algorithmus, mit dem die Software arbeitet, ist clever, aber unberechenbar und bringt somit ein gewisses Zufallselement ins Spiel. Dieses Zufallselement wird dadurch im Zaum gehalten, dass ich selbst die Textsammlung angelegt habe, wodurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass ich die hergestellten Verbindungen auch tatsächlich verwerten kann. Wenn ich eine neue Suche starte und einen ersten Blick auf die Ergebnisliste werfe, erscheint sie zunächst unzusammenhängend, wie ein beliebiges Durcheinander. Lese ich jedoch genauer, springt mir jedes Mal etwas Hochinteressantes ins Auge. »Unzusammenhängend« und »beliebiges Durcheinander« sind Qualitäten, die wir auch unseren Träumen zuschreiben. Der Vergleich ist durchaus passend, denn Software wie DEVONthink bedient sich derselben eigenwilligen und produktiven Kombinationskraft wie unsere Träume.
Wenn wir »Serendipität« auf Wikipedia nachschlagen, sind wir nur noch einen Klick von Einträgen wie LSD, Teflon, Sri Lanka, Benzolring, Viagra und Dutzenden weiteren, breit gestreuten Begriffen entfernt. Möglich wurde diese Vernetzung unterschiedlichsterBegriffe erst durch Tim Berners-Lees Hypertext-Idee, sprich: das Web. Kein anderes Medium bot je zuvor die Möglichkeit, so einfach, schnell und intuitiv die unterschiedlichsten Themengebiete miteinander zu verknüpfen. Dennoch bildete sich in den letzten Jahren in Zeitungskommentaren ein eigenartiger Trend heraus: Das Web, so wird dort behauptet, wäre der Niedergang der Serendipität. Als Beispiel sei hier das Klagelied »The endangered joy of serendipity« von William McKeen, Professor für Journalistik, angeführt.
»Denken wir nur an die Bibliothek. Stöbern die Leute noch in Bibliotheken? Alles, was wir tun, ist zielgerichtet. Mithilfe des Internets lässt sich so gut wie alles herausfinden. Wir geben ein paar Begriffe in eine Suchmaschine ein und finden – von wenigen Fehlschlägen abgesehen – genau das, wonach wir gesucht haben. Effektiv, aber langweilig. Was einem dabei entgeht, ist das zeitaufwendige, aber bereichernde Stöbern in den Regalen, ein Buch herausziehen, weil der Titel interessant klingt oder der Einband vielversprechend aussieht. Etwas zu suchen und sich davon überraschen zu lassen, was man findet, selbst wenn es nicht das ist, wonach man gesucht hat, ist eine der wichtigsten Freuden im Leben, und bis zum heutigen Tag gibt es keine Software, die das bieten könnte.«
In ähnlichem Tenor beklagt auch der New York Times Redakteur Damon Darlin das digitale Zeitalter als Ende der Serendipität. Darlin erkennt zwar den großen Einfluss an, den Leseempfehlungen haben, die wir täglich über soziale Netzwerkdienste wie Twitter oder Facebook bekommen, behauptet aber, solche Links hätten nichts mit Serendipität zu tun. »Was sie erzeugen, ist Gruppendenken«, argumentiert Darlin. »Alles, was wir
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