Wo immer Du bist, Darling
konnten.
Es war durchaus nicht abwegig, dass er stellvertretend für seinen Bruder härter als nötig verurteilt wurde. Die Regierung brauchte einen Sündenbock und ein abschreckendes Exempel für vergleichbare Gruppierungen.
Bei dem Gedanken daran wurde Anja noch elender zumute , denn es lag im Rahmen des Möglichen, dass Ramon länger als die geschätzten zehn Jahre hinter Gitter musste.
Bitte, lieber Gott, lass das nicht zu. Bitte, lass das nicht zu.
Sie biss die Zähne aufeinander, suchte innerlich nach der Kraft zum Durchhalten in einer Welt, die solche Ungerechtigkeit duldete.
Der Morgen der Verhandlung brach an und Unheil verkündend begann es ausgerechnet an diesem Tag zu schneien. Der Winter war aus den Bergen bis in die Stadt vorgedrungen und hatte die Temperaturen drastisch sinken lassen.
Das Wetter lieferte ein exaktes Pendant zu Anjas Stimmung. Sie hatte erneut die ganze Nacht kaum geschlafen, geschweige denn in den letzten Stunden irgendetwas zu sich genommen. Bereits beim Aufstehen schlotterten ihr die Beine und ihr Magen rebellierte mit einer Heftigkeit, dass sie fast keine Luft mehr bekam. Mit zusammengebissenen Zähnen, eine Hand stützend gegen die Wand gepresst, kämpfte sie sich in ihre Kleidung. Aufgeregt und innerlich frierend stand sie danach im Bad und starrte auf die Holzfigur.
Heute würde sich alles entscheiden.
Heute würde sie erfahren, wie ihre Chancen auf eine gemeinsame Zukunft mit Ramon standen.
Als Carolin Oliver die Tür öffnete, nahm Anja Ramons Jacke vom Bett und schlüpfte in den warm gefütterten Stoff. Sofort hüllte sie sein Duft ein und gab ihr die Kraft, zur Tür zu laufen.
Carolin trat mitfühlend neben sie und half ihr, den Verschluss nach oben zu ziehen. »Heute hat das zermürbende Warten ein Ende, Anja. Egal, wie es ausgeht, danach haben wir Gewissheit.«
Sie nickte still. Ihre Stimme schien ausgetrocknet und ihr Hals in einer Weise zugeschnürt, dass sie befürchtete, im Gerichtssaal kein Wort mehr über die Lippen bringen zu können.
Carolin versuchte heroisch, ihr etwas von ihrem Bagel, den sie mit etwas Marmelade bestrichen hatte, aufzuzwingen. Nur ihrer Freundin zuliebe würgte Anja einige Bissen hinunter.
Wenig später brachen sie nach Modesto auf, wo der Prozess gegen 09:30 Uhr beginnen würde. Oliver fuhr. Carolin saß im Fond bei Anja und hielt ihre Hand.
Anja umarmte ihre Freundin lange, als sie schließlich vor dem Eingang zum Gerichtssaal standen. Es war Carolin nicht erlaubt, mit hineinzugehen. Nur die Beteiligten, deren Anwälte und Oliver, als Vertreter der deutschen Behörde, durften an der Verhandlung teilnehmen. Selbst die Presse hatte man ausgeschlossen.
Anja folgte Oliver zur Zeugenbelehrung in den holzvertäfelten Saal und setzte sich mit wackligen Knien auf ihren Platz neben ihn. Nervös sah sie sich nach Ramon um, doch er war noch nicht anwesend.
Immer wieder irrte ihr Blick zu der Tür, durch die er jeden Augenblick den Saal betreten musste.
Oliver marschierte auf Anweisung des Gerichtsdieners nach vorn zum Staatsanwalt und wechselte ein paar schnelle Worte mit ihm, dann kehrte er an ihre Seite zurück. Sie bemerkte es kaum, starrte immer noch wie gebannt auf die Tür, als könnte sie mit purer Willenskraft erreichen, dass diese geöffnet wurde.
Dann, endlich, schwang das schwere Türblatt auf.
Die Arme und Beine wie ein Schwerverbrecher an Ketten gefesselt betrat Ramon in Gefängniskleidung den Raum.
Anja wurde einen Moment schwarz vor Augen, als sie ihn nach fast vier Wochen wiedersah. Taumelnd versuchte sie, aufzustehen.
Oliver neben ihr hielt sie zurück. »Du darfst nicht zu ihm, Anja. Noch nicht. Nach der Verhandlung habt ihr beim Besuchstermin zwanzig Minuten Zeit, euch voneinander zu verabschieden. Das hat mir der Richter gerade nochmals bestätigt.«
Anja nickte. Ihr Herz schlug rasend schnell. Obwohl Oliver mit ihr sprach, konnte sie den Blick nicht von Ramon lösen. Er hob den Kopf, sah sich suchend im Raum um und entdeckte sie.
Ihre Atmung stockte. Die Zeit stoppte. Ihre Blicke schmolzen ineinander und ließen sie alles andere vergessen. Nur noch dieser stille Kontakt zählte, hielt sie aufrecht, hielt sie am Leben.
Der Ausdruck in Ramons grünbraunen Augen transportierte derart starke Gefühle zu ihr, dass sie meinte, seine Berührung körperlich zu spüren. Vollkommen gebannt sah sie zurück, schickte auf diesem Weg all ihre Liebe und ihre tiefe Verbundenheit zu ihm.
*
*
Ramon spürte
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