Wo immer Du bist, Darling
starrte in die Dunkelheit und konnte nicht aufhören, daran zu denken, dass das Horrorszenario, Ramon vielleicht niemals wiederzusehen, in den vergangen Stunden erschreckend real geworden war.
Weil Anjas Schicht im Krankenhaus auch am nächsten Tag erst mittags begann, nutzte sie die freie Zeit, um bei einem Spaziergang wieder etwas zur Ruhe zu kommen. Sie hatte Carolin in Leipzig angerufen und ihr von den vergeblichen Recherchen berichtet. Ihre Freundin war genauso betroffen gewesen wie sie. Die Tatsache, dass auch ihr keine weitere Möglichkeit eingefallen war, Ramons Aufenthaltsort zu ermitteln, hatte das Gefühl der Hoffnungslosigkeit noch verstärkt.
Kraft suchend strich sie über ihren Bauch und lenkte ihre Gedanken bewusst auf ihre Schwangerschaft. Egal, was in den nächsten Jahren passieren würde, über ihren Sohn würde sie stets mit Ramon verbunden sein.
Um sich von dem Schmerz in ihrem Herzen abzulenken, beschloss sie, sich mit Büchern über Schwangerschaft und Geburt einzudecken. Weil sie im Krankenhaus in der Inneren Abteilung arbeitete, besaß sie zu diesem Thema kaum mehr Grundkenntnisse als die übrige weibliche Bevölkerung.
Als sie wenig später mit zwei Papiertüten bewaffnet die Ecke des Buchladens umrundete, prallte sie mit einem Mann zusammen.
Die entschuldigenden Worte erstarben auf ihren Lippen, weil sie erkannte, dass es sich um Richard handelte. Ausgerechnet er! Gab es in der Fußgängerzone nicht genug andere Menschen, mit denen sie hätte zusammenstoßen können?
Richard schien ihren Frust nicht zu teilen. Seine Lippen teilten sich zu einem breiten Grinsen. »Hey Anja, was für ein Zufall.«
»Ja«, presste sie hervor. Nach einem Blick in sein Gesicht kam ihr der Verdacht, dass er absichtlich an der Ecke auf sie gelauert hatte. Zuzutrauen wäre es ihm, nachdem es ihr äußerst erfolgreich gelungen war, ihm im Krankenhaus aus dem Weg zu gehen.
Sie wollte sich an ihm vorbeizwängen, doch er packte ihren Arm. »Hast du Lust auf einen Kaffee?«
»Ich muss leider dringend nach Hause«, log Anja ohne den Anflug eines schlechten Gewissens. Alle Mittel schienen gerechtfertigt, wenn es darum ging, Richard loszuwerden.
Sie ruckte demonstrativ am Arm, doch er löste seinen Griff nicht. »Warum weichst du mir eigentlich ständig aus?«
Anja wusste, dass sie endlich Farbe bekennen musste. »Weil ich nichts mehr mit dir zu tun haben will, Richard. Ich habe eigentlich gedacht, das hätte unser Gespräch vor dem Urlaub deutlich gezeigt.«
Seine Verblüffung nutzend, schob sie ihn vehement beiseite und steuerte geradlinig in die Menschenmenge der Fußgängerzone. Als sie sich sicher war, dass Richard ihr nicht folgte, ging sie nach Hause.
Carolin stemmte empört die Hände in die Hüften, als Anja ihr einige Tage später beim Frühstück von der Begegnung mit Richard erzählte. »Dieser Idiot soll dich bloß in Ruhe lassen. Der Mann hat ja vielleicht Nerven, dich zu belästigen, nach dem, was er sich im Sommer geleistet hat. Eigentlich müsstest du ihn mal dorthin treten, wo es richtig wehtut. Anders scheint er’s nicht zu kapieren.«
»Leider ist er mein Arbeitskollege. Irgendwie muss ich die Sache diplomatisch lösen. Bestimmt wird er bald von allein aufgeben.« Mit einem Blick auf die Uhr prüfte Anja rasch, ob vor ihrem Arzttermin bei Marlene noch Zeit für ein Glas heiße Milch blieb, und öffnete den Kühlschrank.
Das Telefon klingelte. Carolin hob ab. »Für dich.« Sie reichte das Gerät an Anja weiter.
»Anja Zimmermann«, meldete sie sich und klemmte den Hörer zwischen Schulter und Ohr ein, während sie eine Tasse aus dem Regal nahm.
»Anja, hallo. Hier ist Markus Schütz. Aus der Bar.«
Sie stellte verblüfft das Geschirr ab. Nicht doch. Warum zog sie plötzlich die Männer so an? »Hallo.«
»Ich wollte fragen, ob ihr mal wieder in die Bar kommt? Ich würde dich gern wiedersehen.«
Sie beschloss, besser gleich reinen Tisch zu machen. »Das ist nett von dir, Markus. Wirklich … aber es gibt bereits einen anderen Mann. Es wäre nicht richtig, sich mit dir zu treffen.«
»Ach so. Schade.« Er klang enttäuscht.
»Tut mir leid.«
»Schon gut … Vielleicht sehen wir uns mal. Ich wünsch dir alles Gute.«
»Danke, ich dir auch.« Langsam legte sie auf und blickte Carolin an, die natürlich jedes Wort mitverfolgt hatte.
»Erst Richard, jetzt Markus … Was finden die Männer nur plötzlich so interessant an mir?«, sprach sie ihre vorherigen Gedanken
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