Wo immer Du bist, Darling
schwamm er an die Oberfläche und sah sich nach Anja um.
Da! Etwa zwanzig Meter vor ihm wirbelte sie im Wasser, wurde in der gnadenlosen Strömung hin und her geworfen wie eine Lumpenpuppe.
Wie ein Besessener kraulte er in ihre Richtung. Aber immer, wenn er dachte, Anja endlich erreicht zu haben, wurde sie ihm von der unbändigen Gewalt des Wassers wieder entrissen und untergetaucht.
*
»Ramon!« Anja holte Luft, spuckte Wasser, wurde erneut hinabgezogen und strampelte sich wieder nach oben. Als sie sah, dass er kämpferisch durch die Wassermassen auf sie zupflügte, versuchte sie, so lange wie möglich an der Oberfläche zu bleiben. Ihr Körper schmerzte vor Anstrengung und Kälte. Die nassen Kleider schienen eine Tonne zu wiegen und halfen dem tödlichen Sog der Strudel noch nach, doch sie wehrte sich. Über Wasser zu bleiben wurde zum einzigen Inhalt ihrer Gedanken, zum einzigen Zweck ihrer Kraft, zum einzigen Ziel ihres Lebens.
Endlich erreichte Ramon sie. Er schraubte einen Arm um ihre Taille, während er mit der anderen Hand kräftig weiterruderte. Schluchzend warf sie beide Arme um seinen Hals und hielt sich an ihm fest. Sie konnte noch gar nicht glauben, dass er ihr so selbstlos nachgesprungen war.
*
Ramon drückte Anja an sich. Er spürte die rasch abkühlende Wärme ihres Körpers und suchte konzentriert nach einer Möglichkeit, dem gnadenlosen Fluss zu entrinnen. Wenn sie nicht umgehend aus dem Wasser kamen, war es vorbei. Bereits jetzt schränkte die Kälte seine Bewegungsfähigkeit ein. Lange würde es nicht mehr dauern, bis er jedes Gefühl in seinen Muskeln verloren hatte.
An der nächsten Biegung hing ein niedriger Ast ins Wasser. Das war ihre einzige und zugleich letzte Chance, denn nur wenige Meter dahinter lauerten spitze Felsen, deren Bekanntschaft sie garantiert nicht überleben würden.
»Siehst du den Ast?«, brüllte er über das Tosen des Wassers hinweg.
Anja nickte und half ihm, so gut sie konnte, in die gewünschte Richtung zu schwimmen.
Nur Sekunden später kam der Ast in Reichweite.
Ramon gab ein wildes Knurren von sich, warf sich in Richtung des rettenden Ankers und erwischte ihn gerade noch rechtzeitig mit einer Hand.
Der brutale Ruck, mit dem ihre Körper abgebremst wurden, kugelte ihm beinahe den Arm aus, aber er ließ nicht los. Zähneknirschend ertrug er den Schmerz. Seine Finger schmiedeten sich mit archaischer Kraft um das Holz, dennoch rutschte er unaufhörlich auf dessen Ende zu.
»Halt dich fest! Ich brauche beide Hände, sonst schaffe ich es nicht.«
Anja schlang ihre Beine um seine Hüften und verhakte die Füße hinter seinem Rücken.
Ramon blickte nach oben. Jeden Augenblick konnte ihm der schlüpfrige Ast entgleiten. Auch Anja schien sich keine Illusion darüber zu machen, was dann mit ihnen geschehen würde. Ohne zu zögern, schweißte sie sich auf ganzer Länge an ihn.
Sobald er spürte, dass sie sicheren Halt hatte, löste er seinen Arm von ihr und griff mit der zweiten Hand nach dem Ast. Vor Anstrengung keuchend arbeitete er sich Zentimeter für Zentimeter dem rettenden Ufer entgegen.
*
Anja sah das große Stück Baumrinde, das unheilvoll auf sie zutrieb, als Erste. Sie schrie auf und presste sich noch enger an Ramon. »Pass auf! Da kommt …« Der Rest des Satzes wurde vom Wasser verschluckt, als eine eiskalte Welle sie mitten ins Gesicht traf. Sie hustete und rang nach Luft, ließ das Stück Baumrinde aber nicht aus den Augen.
Ramon versuchte, so weit wie möglich auszuweichen. Dass er sich dabei wieder ein Stück zurückhangeln musste, machte die Sache noch verheerender.
»Das reicht nicht. Das reicht ganz bestimmt nicht!« Anja barg ihr Gesicht an Ramons Hals und rechnete mit dem Schlimmsten. Kurz vor dem Aufprall wurde das Treibgut von einem Strudel erfasst, drehte sich und änderte die Richtung.
Es verfehlte sie mit dem Abstand von nicht einmal einer Handbreite und rauschte mit enormer Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Anja wurde unschön bewusst, wie knapp sie dem Tod entgangen waren. Ihre Nerven gaben endgültig nach. Tränen vermischten sich mit der Nässe auf ihrem Gesicht. Sie hatten wirklich unverschämtes Glück gehabt, trotzdem waren sie noch lange nicht außer Gefahr.
Die aufreibende Aktion hatte Ramon so viel Kraft gekostet, dass seine Muskeln in der Kälte immer heftiger zu zittern begannen. Anja konnte den Schmerz, den jede seiner Bewegungen begleiten musste, fast am eigenen Leib spüren. Hätte er nicht
Weitere Kostenlose Bücher