Wo ist Thursday Next?
nicht mehr vermittelbar‹ waren, heißt es. Sie hätten die Kirche ›mittelalterlich‹ aussehen lassen.«
»Und die Insel da vor der Küste von Dogma?« Sie zeigte auf ein felsiges Eiland, das zur Hälfte von Wolken verdeckt war.
»Die kleinere beheimatet die Atteste und Krankmeldungen, auf der größeren findet man Selbsttäuschungen, Lügen, Entschuldigungen und Ausreden für schlechtes Benehmen. Südlich von Dogma liegt Horror, dann kommen wir, und die Südküste wird ganz von Sciencefiction und Abenteuerromanen beherrscht.«
»Puh, das werd ich mir nie merken können.«
Ich gab ihr meine abgewetzte, mit vielen Eselsohren versehene Ausgabe von
Bradshaws Führer zur BuchWelt
. »Nehmen Sie den«, sagte ich und zeigte ihr die hinten eingeklebte Faltkarte und die Eisenbahnfahrpläne. »Die neue Auflage ist schon bestellt.«
Während wir so auf der Bank saßen und plauderten, war das Buch, dem heute Morgen der Räumungsbefehl zugestellt worden war, von einem Team von Arbeits-Danvers aus der Verankerung gelöst worden.
»
Raphael’s Walrus
ist seit über zwei Jahren nicht mehr gelesen worden«, erklärte ich meiner künftigen Stellvertreterin. »Deshalb werden sie jetzt in die literarische Vorortwüste geschickt. Natürlich nur vorläufig – wenn das Interesse an dem Roman wieder steigen sollte, können sie sofort wieder in eine bessere Nachbarschaft umziehen.«
»Wieso ist dann unsere Serie noch hier?«, fragte sie und schlug sich sofort die Hand vor den Mund. »Entschuldigung, war das taktlos von mir?«
»Nein, nein, das fragen die meisten Leute. Die Planungskommission der TextZentrale hat das so bestimmt. Aus Respekt.«
»Vor Ihnen?«
»Nein – vor der realen Thursday Next.«
Ein kleiner Erd- und Kieselschauer rieselte herunter, als
Raphael’s Walrus
sich in die Lüfte erhob, während die Schließautomatik der Bildleitungsrohre einrastete und ein paar letzte Wölkchen zerquetschter Wörter entließ. So funktionierte die neue Geografische BuchWelt. Bücher kamen und gingen, und die Grenzen zwischen den Genres verschoben sich ständig, im monatlichenWechsel von Flut und Ebbe des Leserinteresses. Die Gattung Kriminalromane war immer recht groß, genau wie Comedy, Fantasy und Sciencefiction. Horror war dank der Urbanen Vampirgeschichten in letzter Zeit ziemlich gewachsen, während einige der weniger bekannten Genres praktisch völlig verschwunden sind. Abenteuer mit Riesenkalmaren waren erst vor kurzem abgeschafft worden und Pferde-Sciencefiction würde wahrscheinlich bald folgen.
Aber das geräumte Grundstück blieb nicht lange leer. Noch während wir auf der Bank saßen, trafen die ersten vorgefertigten Teile des neuen Buches ein, die frisch aus einer Werft im Brunnen der Manuskripte geliefert wurden. Die Ingenieure verschafften sich einen kurzen Überblick über das Grundstück, steckten die Grundrisse ab und gaben den riesigen Transport-Schubern, die plötzlich herangeschwebt kamen, das Signal, die einzelnen Elemente etwa zehn Meter über dem Boden in Position zu bringen. Halteseile wurden heruntergelassen, eine kleine Armee von Arbeits-Danvers wuchtete die schweren Bauteile unter Fluchen und Johlen an Ort und Stelle und schraubte sie dann mit großen Schraubenschlüsseln auf den Fundamenten fest. Der erste Schauplatz war eine halb zerfallene Ritterburg, dann kam eine Bergkette, dann ein riesiger Wald. Jeder Baum, jedes Kaninchen, jedes Einhorn und jede Elfe waren liebevoll einzeln verpackt. Danach trafen weitere Schauplätze ein, und innerhalb von vierzig Minuten war der ganze Roman Stück für Stück ausgepackt, festgeschraubt und an die telemetrischen Leitungen angeschlossen.
»Es empfiehlt sich immer, die Nachbarn gut zu behandeln«, sagte ich. »Man weiß ja nie, wann man mal ein Tässchen Ironie borgen muss. Außerdem ist es sicher eine interessante Erfahrung für Sie.«
Wir gingen die Auffahrt hoch, über die Zugbrücke und unter dem Fallgitter durch in den Innenhof. Überall klebten noch Zettel mit nützlichen Hinweisen: »Hier geht’s zur Auflösung«, »In der Vorgeschichte bitte keine Stiefel und Sporen«, und sogar: »Mehrdeutigkeiten füttern verboten!«
Die Ingenieure nahmen noch letzte Anpassungen vor. Sechs von ihnen schoben die Wolken in Position, zwei schlossen die SatzzeichenSchleuder ans Steuerpult an, während drei andere sich bemühten, ein Knacken und eine Rückkoppelung einzufangen, die nichts in der Geschichte zu suchen hatten. Zwei Spezialisten begannen gerade
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