Wo ist Thursday Next?
anderen Helden, auch wahren Giganten wie Commander Bradshaw, Emperor Zhark, Mrs Tiggy-Winkle und sogar der Betrunkenen Vikarin war sie haushoch überlegen.
»Hat sie wirklich mal Hamlet in die RealWelt mitgenommen?«, fragte Carmine aufgeregt.
»Unter anderem.«
»Und den heimtückischen Yorrick Kaine besiegt?«
»Natürlich.«
»Und was war mit dem
Großen Samuel-Pepys-Fiasko
? Musste man wirklich zwei Wochen aus seinem Tagebuch streichen, um alles wieder in Ordnung zu bringen?«
»Das war das geringste Problem. Sogar Thursday muss gelegentlich Niederlagen einstecken – das bleibt einfach nicht aus, wenn du eine Spitzenfrau bist. Außerdem«, fügte ich – aus dem unbewussten Bedürfnis, meine berühmte Namensschwester zu verteidigen – hinzu, »wenn Samuel Pepys seine Debbie nicht im Souterrain von
Sons and Lovers
untergebracht und zum Zweck der Kostenersparnis an ungeraden Wochentagen seinem Freund Jagoüberlassen hätte, wäre es nie zu der Katastrophe gekommen. Fast wären die kompletten Tagebücher verloren gegangen, weil Pepys die Panik gekriegt hat. Erst als Thursday die historischen Aufzeichnungen dahingehend ergänzte, dass es plötzlich ein ›Großes Feuer von London‹ gab, das in Wirklichkeit niemals stattgefunden hat, konnte man aus dem Debakel noch einen Nutzen ziehen. Die Historiker wollten wochenlang nicht mit dem GattungsRat reden, aber Sir Christopher Wren war entzückt.«
Wir kehrten auf den Burghof zurück. Der König und die Königin luden uns noch zu einer »Vor-Lesungs-Party« am Abend ein, und ich erwiderte die Einladung, indem ich sie zu Tee und Kuchen am nächsten Tag bat. Nachdem wir uns dergestalt gut mit den neuen Nachbarn bekannt gemacht hatten, traten wir den Heimweg an.
»Haben Sie besondere Wünsche, wie ich Sie anlegen soll?«, fragte Carmine.
»Sie spielen nicht
mich
«, sagte ich. »Sie spielen
Thursday.
Das ist ein Riesenunterschied. Obwohl ich jetzt schon so lange Thursday gewesen bin, dass ich manchmal denke, ich wäre sie, bin ich das keineswegs. Ich bin nur die geschriebene Thursday. Aber, um Ihre Frage zu beantworten: Ich versuche, sie
würdig
zu spielen, mit Anstand. Ich habe diesen Job von der
anderen
geschriebenen Thursday übernommen – fragen Sie bitte nicht nach den näheren Umständen, das ist eine lange Geschichte –, ich habe diesen Job übernommen, kurz nachdem
Das Große Samuel-Pepys-Fiasko
endgültig gelöscht werden musste – eine noch viel längere Geschichte, nach der man schon gar nicht fragen sollte. Meine Vorgängerin spielte Thursday immer ein bisschen respektlos, und deshalb versuche ich, das etwas auszugleichen.«
»Ich habe gehört, die gewalttätige Thursday mit dem vielen überflüssigen Sex hatte erheblich mehr Leser.«
Ich warf ihr einen wütenden Blick zu, aber Carmine sah mich mit großen runden Augen in aller Unschuld an, als hätte sie keine Kritik äußern, sondern einfach nur eine Tatsache feststellen wollen.
»Wir werden die Leser schon irgendwie zurückholen«, sagte ich, obwohl ich das selbst nicht recht glaubte.
»Würden Sie mich irgendwann der realen Thursday vorstellen?«, fragte Carmine in hoffnungsvollem Ton. »Also nur zu Studienzwecken, natürlich.«
»Sie ist sehr beschäftigt, und ich behellige sie deshalb nicht gern.«
Ich übertrieb meinen Einfluss. Obwohl sie meine Erschaffung persönlich beaufsichtigt hatte, mochte die reale Thursday mich nicht besonders. Wahrscheinlich deshalb nicht, weil sie mich als ihr besseres Ich konstruiert hatte. Ich glaube, das gab es häufiger in der RealWelt: diesen Bruch zwischen der Person, die man sein wollte, und der, die man tatsächlich war.
»Hören Sie«, sagte ich. »Spielen Sie Thursday einfach mit Anstand. Die Einzelheiten sind Ihnen ganz überlassen. Bis Sie die Rolle richtig im Griff haben, können Sie Thursday ja bei jeder Lesung ein klein wenig anders anlegen. Hamlet hat das jahrelang getan. Er hat sechsundzwanzig verschiedene Arten, wie er sich spielt. Aber er hat natürlich viel Übung. Ich glaube, er weiß heute selbst nicht mehr, was für Motive er hat – außer natürlich der Freude, sein Publikum zu verwirren und die Shakespeareforscher in Lohn und Brot zu halten.«
»Kennen Sie Hamlet persönlich?«
»Nein, aber letztes Jahr auf der BuchWelt-Konferenz habe ich seinen Hinterkopf sechs Reihen vor mir gehabt.«
»Und wie war er?«, fragte Carmine, die offenbar gern Prominentenklatsch hörte.
»Sein Hinterkopf? Haarig«, sagte ich
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