Wo ist Thursday Next?
der SpannungsLiteratur gegangen, deshalb wird die Black Box neuerdings immer erst gefunden, wenn die Untersuchung schon beinahe abgeschlossen ist. Spannend ist es schon, aber auch ziemlich lästig. Wollt ihr sehen, was ich gefunden habe?«
Wir gingen durch die Terrassentür in den Garten und von dort aus in meine Doppelgarage, die ein weiteres Beispiel für die inverse Physik in der BuchWelt war: Je mehr man sie füllte, desto leerer erschien sie. Völlig leer konnte sie aber niemals sein, denn dazuhätte man eine unendliche Menge Krempel gebraucht, beziehungsweise – da es sich um eine Doppelgarage handelte – um
zwei
unendliche Mengen Krempel.
Die Trümmer des verunglückten Buches waren auf dem Betonboden ausgebreitet, einerseits um auf diese Weise vielleicht den Grund für den Absturz zu finden, andererseits um die Handlung des Buches zu rekonstruieren. Wir hatten ein paar Seitenzahlen, aber nichts mit Dialog. Es war ein einziges Chaos.
Ich ging an der gelb gestrichenen Hinterachse vorbei, schob den Gefrierteil eines Kühlschranks beiseite und winkte meine Begleiter zu mir heran.
»Was haltet ihr davon?«
Wir standen über dem verbeulten Motorrad.
»Seid mal still«, sagte ich.
Tatsächlich war ein Wispern in der Garage zu hören, und wenn man sich über das Motorrad beugte, hörte man sogar ein verständliches Flüstern:
Motorrads Werk hat lang gewirkt;
Umsonst, umsonst, umsonst.
Die Arbeiter alle entlassen!
Besetzen das Werk noch am selbigen Tag
und arbeiten, arbeiten, arbeiten.
Räder rollen rund und rund.
Umsonst, umsonst, umsonst.
Triumph’s triumphaler Triumph
Triumphierte am Ende umsonst.
»Versteh ich nicht«, sagte Pickwick. Aber sie war sowieso mehr ein Harley-Fan.
»Das ist ein Gedicht«, sagte ich. »Es beschreibt den Untergang der Triumph-Motorradfabrik Anfang der Achtzigerjahre. Die Zeilen müssen aus der Geschichte der Maschine koaguliert sein – ein Glutrest des Unfalls.«
»Das ist gar nicht so ungewöhnlich«, sagte Pickwick. »WennProsa zusammenbricht, fängt sie oft unwillkürlich an, rhythmisch zu werden und sich zu reimen. Lyrik ist ja nur Prosa in anderer Gestalt, und Prosa wartet nur darauf, zu Lyrik zu werden.«
»Epizeuxis«, murmelte Sprockett. »Das ist es! Ein rhetorischer Kniff, bei dem zur Steigerung der dramatischen Wirkung dasselbe Wort im selben Satz wiederholt wird. Epizeuxis und Stabreim! Das Buch ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Rhetorik-Wurm befallen und schließlich zerstört worden.«
Zu dem gleichen Schluss war ich auch gekommen. Der Epizeuxis-Wurm versuchte anfangs, die Sätze umzubauen, und wenn das nicht gelang, holt er sich Wörter aus anderen Sätzen und riss damit Löcher in die Erzählung. Wenn er keine kompletten Wörter mehr fand, holte er sich einzelne Buchstaben und schwächte damit den Text so weit, bis das ganze Buch auseinanderfiel. Wenn man den Vorgang auf die reale Welt übertrug, war es so ähnlich, als würden während des Fluges sämtliche Bolzen und Nieten aus einem Flugzeug entfernt.
»Das Problem ist«, sagte ich langsam, »dass Rhetorik-Würmer in der Natur gar nicht vorkommen. Sie werden künstlich gezüchtet, um beim Abriss und der Verschrottung von Büchern zu helfen. Das ist billiger und sicherer als die Verwendung von Ketten, Haken und Brechstangen. Ein Rhetorik-Wurm an der richtigen Stelle kann sich rasend schnell in die Prosa graben, eine müde Exposition wegfressen, aber gute Beschreibungen und Dialoge unangetastet lassen. Entweder war dieses Buch von unlizensierten Würmern befallen, die versehentlich aktiviert worden sind, oder es war …«
»Sabotage!«,
zischte Mrs Malaprop, und ich spürte, wie mir eiskalt wurde. Ein solcher Angriff würde bio-technische Kenntnisse und Einrichtungen erfordern, die weit über Möglichkeiten gewöhnlicher Bürger hinausgingen. Es gab Gerüchte, dass die Männer in Karos gelegentlich rhetorische Mittel einsetzten, um Verletzungen und Tod zu verursachen, aber sie beruhten zum größten Teil auf Vermutungen und stammten wahrscheinlich aus dem Reich der Verschwörung.
»Okay«, sagte ich. »Wir haben also einen Hinweis, dass es
möglicherweise
ein Fremdverschulden bei diesem Absturz gab. Aber es ist nicht die einzig mögliche Erklärung. Epizeuxis und Stabreim werden gelegentlich auch von ernst zu nehmenden Autoren zu konstruktiven Zwecken gebraucht.«
»Aber doch nicht so plakativ«, sagte Pickwick. »Und schon gar nicht, um die Pleite
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