Wo ist Thursday Next?
Können Sie ihr das vielleicht ausrichten, wenn Sie mit Thursday reden?«
»Wir sind doch keine Botenjungen«, sagte die Karo-Frau. Ohne ein weiteres Wort verließen die beiden das Haus.
Nachdem sie gegangen waren, herrschte einen Augenblick Schweigen. Ich hatte die Männer in Karos belogen, was gegen die Gesetze verstieß. Und selbst wenn sie mir geglaubt hatten, war es auf Dauer nicht förderlich für meine Gesundheit, wenn sie mich auf dem Radar hatten. Zwei Dinge schienen jedenfalls klar: Wenn Thursday verschwunden war, dann sollten die Männer in Karos sie offenbar suchen, aber von meiner Verbindung mit dem rothaarigen Gentleman wussten sie allem Anschein nach bisher noch nichts.
Aber lange darüber nachdenken konnte ich nicht. Denn jetzt ertönte der Lese-Alarm. Irgendwo im AußenLand hatte jemand eins meiner Bücher in die Hand genommen. Zum Glück kann in der BuchWelt alles sofort geschehen, deshalb flitzte ich in die Küche, wo Carmine schon fertig kostümiert und startklar bereitstand.Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich vielleicht lieber selbst spielen sollte, aber ich musste ihr ja mal eine Chance geben.
»Im AußenLand ist es gerade fünf«, sagte ich. »Anscheinend macht jemand eine Teepause. Sind Sie bereit?«
Carmine nickte.
Ich wandte mich an Mrs Malaprop, die auf ihrem Radarschirm Wort-für-Wort verfolgen konnte, in welchem Buch und an welcher Stelle sich Leser befanden.
»Es ist Pimmelzahn«, sagte sie. »
In einem anderen Buch,
Kapitel 11, Haus Abendrot. Ich sage Oma Next Begleit.«
Sie tippte auf die Taste der Sprechanlage, und ihre Stimme hallte durch die Garderoben der Serie.
»Hallo, hallo. Granny Next ins Haus Abendrot.
TN2, S141.«
»Eine leichte Szene«, sagte ich zu Carmine. »Spielen Sie Tischtennis?«
»Ganz okay.«
»Ist egal. Oma Next putzt Sie sowieso von der Platte.«
»Wer ist ›Pimmelzahn‹?«
»Ach, sie meint einen ›Bummelzug‹. So nennen wir Leser, die sich etwas mehr Zeit beim Lesen lassen. Wenn er zögert – das kommt bei ihm öfter vor –, dürfen Sie bei den Dialogen nicht nuscheln und müssen manchmal auch langsamer werden. Dann spüren Sie sofort, dass er besser mitkommt. Schließlich sind wir dazu da, den Lesern zu helfen. Der Leser ist die Hauptperson – immer dran denken!«
Sie sah mich an und biss sich nervös auf die Lippe. »Immer an die Leser denken«, wiederholte sie. »Aber wenn mich mehr als zwanzig gleichzeitig lesen wollen, springen Sie ein, ja?«
Simultan-Lesungen wurden gelegentlich wie ein Besuch in Paris beschrieben, bei dem man während der Hauptverkehrszeit alle Sehenswürdigkeiten zugleich sehen will. Ich habe diesen Vergleich nie verstanden, aber ich habe mir daraufhin vorgenommen, auf keinen Fall je nach Paris zu fahren, sei es nun real oder imaginiert.
»Keine Bange«, sagte ich. »Sie schaffen das schon. Wir habennoch mindestens vier Stunden, ehe die anderen Leser sich einschalten. Atmen Sie tief durch und wiederholen Sie das Mantra der Ich-Erzählerin: Tempo, Atmosphäre, Handlung, Prosa, Figuren, Charakter.«
»Tempo, Atmosphäre, Handlung, Prosa, Figuren, Charakter«, wiederholte sie brav.
»Gut«, sagte ich. »Und jetzt los!«
Mit einem schwachen Lächeln verschwand sie in Richtung von Haus Abendrot, das zwischen Thornfield Hall und der internen Skyrail-Strecke einzementiert war. Mit gemischten Gefühlen sah ich ihr nach. Ich war froh, dass ich Zeit für andere Dinge hatte, aber es tat mir auch leid, dass ich jetzt nicht Thursday sein konnte – selbst wenn nur ein Leser da war.
»Hier«, sagte ich und gab Mrs Malaprop den Zugangs-Code für den Snooze-Knopf. »Halten Sie ein Auge auf Carmine.«
»Das ist aber nur der letzte Ausweg, nicht wahr?«, fragte Mrs Malaprop.
»Der allerletzte Ausweg«, bestätigte ich. »Im Notfall rufen Sie mich. Ich komme sofort.«
Damit verließ ich die Küche. Es gab eine Menge Arbeit für mich.
10.
Epizeuxis
Die Karten der BuchWelt müssen dauernd erneuert werden, da sich die Grenzen zwischen den Genres wegen der Trends und Moden im AußenLand ständig verschieben. De facto bewegen sich die Grenzen so heftig, dass die Vorstellung, es könnte eine wirklich aktuelle Karte geben, inzwischen als lächerlich gilt. Deshalb werden auf den meisten Karten nur sogenannte
mittlere
Grenzen verzeichnet, die den durchschnittlichen Grenzverlauf in den letzten zehn Jahren angeben …
Bradshaws Führer zur BuchWelt,
3. Aufl.
Trotz des unwillkommenen Besuchs der
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