Wo niemand dich findet
jemand gewesen, der überhaupt nicht gesprochen hätte, sondern sie irgendwohin mitnahm, wo sie alles vergessen könnte.
Nathan war so jemand. Er konnte den Rest der Welt für sie verschwinden lassen. Er schaffte es, dass es nichts mehr gab außer ihnen beiden.
Doch selbst da würde irgendwann die Realität einbrechen. Das tat sie immer. Auf eine unglaubliche Nacht würde eine zweite folgen. Dann kämen die dritte und vierte Nacht, und dazwischen würde sich klammheimlich der Alltag einschleichen. Und ehe sie sichs versah, wäre sie mitten in einer Beziehung.
Nathan hatte recht, sie mochte keine Beziehungen.
Er würde anfangen, Ansprüche zu stellen, genau wie sie. Er würde enttäuscht sein, genau wie sie. Sie hatte das oft genug erlebt, um zu wissen, dass das nichts für sie war. Sie hatte kein Interesse, dass sie jemand »abbekam«, wie er es nannte. Sie kannte kein einziges glücklich verheiratetes Paar, obwohl sie schon viele kennengelernt hatte. Natürlich hing ihr »Kennenlernen« oft damit zusammen, dass sie auf untreue Ehemänner und schlechte Väter angesetzt worden war. Doch das änderte nichts. So war das Leben.
Alex holte ihren Wagen aus der Krankenhaus-Tiefgarage und fand fast ohne Umwege den Weg ins French Quarter. Ihr Rucksack war noch immer in der Pension,
aber auch aus dem Hyatt hatte sie noch nicht ausgecheckt.
Vielleicht würde sie heute Nacht noch dort bleiben. Für einen Umzug war es zu spät, auch wenn die Vorstellung, allein in dem großen Bett zu schlafen, wenig verlockend war.
Sie fuhr in den winzigen Parkplatz neben der Pension. Keine Spur von einem schwarzen Mustang. Enttäuschung keimte in ihr auf. Sie hatte ihren Willen durchgesetzt und ihn weggeschickt, doch jetzt kam sie sich vor wie eine totale Zicke.
Alex trottete durch den mit Lichterketten geschmückten Innenhof, vorbei an Tischen, an denen Menschen in entspannter Atmosphäre bei sanfter Jazz-Untermalung tranken, redeten und lachten. Sie öffnete die Tür zum Foyer. Mit Erleichterung sah sie, dass der Mann, der sie gestern am frühen Morgen empfangen hatte, an der Rezeption vor einem Computer saß. Statt seines Seidenpyjamas trug er allerdings einen eleganten lavendelfarbenen Nadelstreifenanzug.
Er erhob sich und kam lächelnd auf sie zu. »Guten Abend, Miss Lovell. Was kann ich für Sie tun?«
Sie holte ihre Geldbörse hervor, obwohl sie vermutete, dass Nathan die Rechnung schon beglichen hatte. Auch wenn er auf sie sauer war, war er doch Gentleman genug, um das zu tun.
»Ich würde gern auschecken«, sagte sie und zog ihre Kreditkarte heraus.
Der Mann legte die Stirn in Furchen. »Oh, wie schade! Hoffentlich sind Sie nicht unzufrieden mit Ihrem Zimmer?«
Ein Geräusch vor der Tür ließ Alex herumfahren. Sie sah an ihm vorbei auf die Straße. Ströme von Touristen flanierten draußen vorbei.
Dann sah sie den Wagen.
»Miss Lovell?«
»Entschuldigen Sie, bitte. Ist Mr. Devereaux schon abgereist?« Sie hielt den Atem an, während sie auf die Antwort wartete. Sie benahm sich einfach lächerlich, fand sie.
»So weit ich weiß nein.« Der Mann überlegte kurz. »Ich glaube, er ist beim Abendessen.«
Geräuschvoll stieß sie den angehaltenen Atem aus. Nachdem sie die Kreditkarte wieder in ihre Geldbörse zurückgesteckt hatte, ging sie zur Eingangstür und blickte hinaus. Nur um sicherzugehen.
»Ist alles in Ordnung, Miss Lovell?«
Der Mann an der Rezeption sah sie verblüfft an.
»Es ist alles wunderbar, danke.«
Nach diesen Worten öffnete sie die Tür und trat in die dunstige Abendluft.
25
Kurz nachdem Alex auf die Straße getreten war, hatte es zu nieseln begonnen. Und schon beim Überqueren der Toulouse Street war aus dem Nieseln ein Regenschauer geworden. Sie versuchte, sich an den Weg zu erinnern, den sie zuvor mit Nathan gelaufen war. An einer Ecke, die ihr bekannt vorkam, bog sie nach links, anschließend gleich wieder nach rechts. Hier?
Der Schauer wuchs sich zum Platzregen aus. Die Touristen stürzten in die Bars und Restaurants der Umgebung, doch sie kannte keines davon. Verzweifelt sah Alex umher. Sie hatte doch aufgepasst. Wo war es nur?
Sie spähte in eine schmale Gasse. Sie war verlassen und düster, doch auf einem neongrünen Schild in einem Fenster blinkte es. MCLEAN’S. Sie rannte los.
In der Bar war es warm und laut, überall standen pudelnasse Touristen herum. Alex durchmaß den Raum mit Blicken. Kein Nathan. Sie bahnte sich den Weg in den hinteren Teil, dort wo das erhöhte Podium war.
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