Wo niemand dich sieht
Graben. Ihr Gesicht war kalkweiß. Ich hörte, wie sie erstickt meinen Namen flüsterte.
Ich zog die Bren Ten aus meinem Gürtel und drehte mich langsam um.
30
Dort stand, hoch aufgerichtet auf den Hinterbeinen, mit gezückten Krallen, ein goldbrauner Riesenarmadillo. Die Krallen des Gürteltiers waren so lang und scharf, dass es mir damit mit einem Schlag das Gesicht hätte zerfetzen können. Nein, das war keins dieser niedlichen Tierchen, die auf den Schnellstraßen und Autobahnen von West-Texas so oft überfahren wurden, sondern ein wahrhaft riesiges Exemplar. So eins hatte ich nicht mal in einem Zoo gesehen. Nur auf Bildern. Es hatte eine lange Schnauze, und seine kleinen Äuglein ließen uns keine Sekunde aus den Augen. Sein weißlich graues Fleisch schien zu schrumpeln, die Krallen noch weiter hervorzuwachsen.
»Das frisst keine Menschen«, flüsterte Laura, »nur Würmer.«
»Freut mich zu hören«, sagte ich und senkte langsam die Pistole. Wer weiß, ob da draußen nicht Männer waren, die den Schuss hätten hören können? Savich warf mir einen Stein zu. Ich zielte so, dass er dicht neben dem Armadillo landete und Erde aufspritzte. Das Wesen stieß ein eigenartiges Zischen aus und verschwand dann im Unterholz.
Ich war nicht der Einzige von uns, der aufatmete.
Zeit zum Essen. Savich schälte die Mangos mit der Schere aus dem Erste-Hilfe-Kasten. Wirklich sehr nützlich, diese Schere. Gut, dass wir sie hatten. Savich übertrug mir die Aufgabe des Bananenschälers.
Ich beäugte meinen Schnitz kurz, bevor ich ihn in den Mund schob. Nein, von etwas, das man gerade geschält hatte, bekam man sicher keine Lebensmittelvergiftung. Und Durchfall hoffentlich auch nicht. Wir aßen jeder zwei Mangos, dazu je eine Banane, gekrönt von einem kostbaren Snickers.
»Es ist erst acht«, sagte Sherlock. »Weiß jemand, was für ein Tag heute ist?«
»Wenn heute Freitag wäre«, überlegte Savich, »würden wir jetzt Sean zu Bett bringen und uns dann unten mit einer Tasse von meinem Hochlandkaffee aufs Sofa kuscheln.«
Sherlock grinste bei dem Gedanken, dann rutschte sie zu Laura hin. Sie legte ihr die Hand an die Wange, dann auf die Stirn. »Mac, wann hast du ihr zuletzt Aspirin gegeben?«
»Vor zwei Stunden.«
»Sie hat Fieber. Wir müssen dafür sorgen, dass sie so viel wie möglich trinkt und zwar dauernd. Das hat mir jedenfalls der Arzt gesagt, als Sean hohes Fieber hatte.«
Ich hatte schon viele lange Nächte erlebt, aber das muss so ziemlich die längste gewesen sein. Mindestens drei Dutzend unterschiedliche Käfer veranstalteten die ganze Nacht über ein Höllenkonzert. Überall um uns herum hörten wir Rascheln und Trippeln. Ich hätte schwören können, dass mindestens ein Dutzend Viecher mit Flügeln hoch über uns umherflatterte. Aber der Lärm, den die Käfer veranstalteten, war wirklich das Schlimmste.
Savich sorgte dafür, dass das Feuer kräftig brannte. Kein Riesenarmadillo kam mehr auf einen Besuch vorbei. Keine Schlangen, die sich an unserem Feuer wärmen wollten. Es gab bloß uns vier und das Fieber, das Laura verzehrte.
Ich war gerade leicht eingedöst, als ich spürte, wie sie neben mir zitterte. Schüttelfrost, dachte ich, vom Fieber. Ich flößte ihr so viel Wasser ein, wie ich konnte und nahm sie dann fest in meine Arme. Vielleicht half es ja, denn sie hörte auf zu stöhnen und verfiel in einen unruhigen Schlaf.
Wir mussten unbedingt aus dieser Wildnis raus und Hilfe finden.
Bei unserem Glück stolperten wir möglicherweise allerdings von einem Drogendealer-Lager in ein anderes.
Am nächsten Morgen tranken wir eine Flasche von unserem kostbaren Mineralwasser, aßen zwei Mangos und drei Bananen und den Rest von den Snickers.
Als wir bereit zum Weitergehen waren, blickte Savich mich an und streckte die Arme aus. Ich schüttelte den Kopf und umklammerte Laura fester.
»Lass mich sie nehmen. Du machst dich noch völlig kaputt, Mac. So lange ist es noch nicht her, seit der Sache in Tunesien. Du kannst eine Weile das Hacken übernehmen. Ich trage sie bis Mittag, dann kannst du sie wieder haben. «
Die Vegetation war hier nicht so dicht und die Machete daher überflüssig. Ein unerwarteter Segen.
Lauras Fieber war gegen morgen gesunken und, so weit wir es beurteilen konnten, nicht wieder gestiegen. Aber sie war sehr schwach. Die Wunde war rot und geschwollen, aber nicht eitrig. Ich strich den letzten Rest antibiotische Salbe darüber. Ihr Fleisch fühlte sich ganz heiß unter meinen
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