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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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wie Dampfkessel.«
    Diesmal blinzelte sie rasch, mindestens ein halbes Dutzend Mal. Sie brach zwar nicht in Lachen aus, aber ein herzhaftes Kichern konnte sie dennoch nicht unterdrücken. Gut. Ich hatte sie zum Lachen gebracht. Offenbar fand sie mich amüsant.
    Ich war hergekommen, um eine Rolle zu spielen, um die Wahrheit aus dieser Frau rauszukriegen, sie zu umschmeicheln, mit meinem Charme einzuwickeln, was auch immer. Doch stattdessen wollte ich sie auf Händen nach Tahiti tragen. Verflucht noch mal, wie ich so was hasse.
    »Haben Sie heute Abend schon was vor?« Als sie daraufhin nichts sagte, fügte ich hinzu: »Wie gesagt, ich bin neu in der Stadt und kenne keine Menschenseele. Kann mir denken, dass Sie sich vielleicht Sorgen machen, ich könnte so eine Art Jack the Ripper aus London sein, also wär’s wohl am besten, wenn wir gleich hier in der Nähe was essen würden. Auf diese Weise bräuchten Sie sich keine Sorgen zu machen, dass ich Sie hinterrücks überfalle, Sie ausraube oder sonst was Unschickliches tue. Sie wissen schon, hübsche Sachen, die man nicht mit jemandem anstellt, den man erst eine Stunde kennt. Wie wär’s mit dem »Amadeus Cafe« unten im Parterre?«
    »Wenn ich noch einen einzigen Salat in diesem Bauchwehstübchen verdrücken muss, dann sterbe ich«, entgegnete sie.
    Sie warf einen Blick auf die große Uhr an der Wand über dem Regal mit den britischen Historienschinken. Dann lächelte sie mich an und nickte. »Ich kenne ein ausgezeichnetes Restaurant nicht weit von hier.«
    Eine Stunde später, nach einem einsam verbrachten Stündchen zwischen orangeroten Regalen, schlenderten wir die Liberty Street entlang und kehrten ins Mai Thai ein, das sich trotz seiner düster-staubigen Atmosphäre als ein ausgezeichnetes Esslokal erwies.
    Sie trug ihr Haar jetzt offen, was ich, zugegebenermaßen, sehr begrüßte. Ich hätte versinken können in diesen Haaren und nie wieder hervorkommen wollen. Gerade beugte sie sich ein wenig über den Tisch und das lange, glänzende Haar fiel ihr über die linke Schulter. Laura Scott war kein bisschen scheu oder gar schüchtern. Sie war ein offener, extrovertierter Mensch, lachte laut und herzlich über meine Witze und gab mir überhaupt das Gefühl, der tollste Kerl auf der ganzen Welt zu sein. Sie sei gerade achtundzwanzig geworden, vergangenen März, erzählte sie mir. Sie habe keinen festen Freund - was ich nicht umhin konnte, mit Wohlgefallen zu vermerken -, lebte in einer hübschen Wohnung am Fluss, spielte gerne Tennis und Racketball und liebte Pferde und Reiten über alles. Das von ihr bevorzugte Gestüt lag nur fünf Meilen außerhalb der Stadt.
    Sie fühlte sich wohl in meiner Gegenwart. Ich wollte nicht, dass sich das änderte.
    Was mich betraf, so fabrizierte ich mir eine wundervolle akademische Vergangenheit, gespickt mit Uni-Geschichten, die ich von Freunden und Geschwistern über die Jahre gehört hatte. Sie hatte ihr Chicken Satay fast aufgegessen, als mir klar wurde, dass ich der trauten Harmonie ein Ende machen musste. Ich war aus einem bestimmten Grund hier, nicht um herumzuflirten und den Unwiderstehlichen zu markieren oder gar etwas mit dieser unglaublich faszinierenden Frau anzufangen. In fast beiläufigem Ton sagte ich: »Ich habe Verwandte in Edgerton, einem kleinen Städtchen an der Küste von Oregon, etwa eine Fahrstunde von hier entfernt.« Dabei beobachtete ich sie wie eine Schlange eine Wüstenspringmaus.
    Sie kaute ruhig weiter, aber ich sah die Veränderung sofort. Scheiße, dachte ich, so muss sich Adam gefühlt haben, als er aus dem Paradies vertrieben wurde. Ihre Augen, die bis zu diesem Zeitpunkt einen weichen, fast träumerischen Ausdruck gehabt hatten, wurden mit einem Mal scharf und wachsam hinter ihren Brillengläsern. Aber sie sagte nichts.
    »Mein Vetter - Rob Morrison - ist Polizist in Edgerton. Er sagt, alle nennen das Städtchen nur >The Edge<. Er wohnt in einem kleinen Holzhäuschen direkt an den Klippen. Wenn man aus dem Fenster schaut, hat man das Gefühl, man ist auf einem Boot. Und wenn man länger rausstarrt, kommt es einem auch so vor, als stünde man auf einem schwankenden Boot. Kennen Sie den Ort? Haben Sie dort Bekannte?«
    Würde sie lügen?
    »Ja«, sagte sie, »ja, ich kenne den Ort. Und ich habe dort Freunde.«
    Ich wäre beinahe aus der Sitznische geplumpst, so überrascht war ich, dass sie das zugab, mir, einem vollkommen Fremden gegenüber. Na ja, vielleicht war genau das ja der Grund - ich war ein

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