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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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pickelige Junge in der Ziehharmonikajeans mit einer Zeitschrift in der Hand hinter ein gelbes Regal geschlurft war.
    Dann näherte ich mich ihr langsam und sagte: »Diese Jugend heutzutage - manchmal hätte ich gute Lust, einen bei der Jeans zu packen und einmal kräftig dran zu ziehen. Na, vielleicht nicht einmal kräftig. Der Junge, mit dem Sie gerade gesprochen haben, hätte wohl nur husten müssen, und schon wären ihm die Jeans um die Knie gehangen.«
    Sie hatte ein glattes, junges Gesicht, dessen Ausdruck sich etwa drei Sekunden lang überhaupt nicht veränderte. Sie starrte mich einfach nur an wie ein Schaf den Mond, so als hätte sie mich überhaupt nicht gehört. Dann schaute sie zu dem Jungen hinüber, der sich soeben bückte, um eine weitere Zeitschrift aus dem Regal zu ziehen, wobei ihm der Hosenboden zwischen den Knien hing. Sie musterte dann wieder mich, und nach weiteren drei Sekunden warf sie zu meiner Überraschung den Kopf zurück und stieß ein lautes, fröhliches Lachen aus. Ihr Gelächter zerriss wie ein Trommelwirbel die Stille der geheiligten Hallen.
    Der Araber an der Infotheke glotzte mit offenem Mund zu uns herüber. Seine Überraschung war selbst aus der Entfernung unübersehbar.
    Aber das, was da aus ihr hervorquoll, war alles andere als ein unscheinbares Lachen. Es war voll und kräftig und einfach hinreißend. Ich musste lächeln und streckte ihr spontan die Hand hin. »Hallo, ich heiße Ford MacDougal, bin neu in der Stadt, hab gerade eine Dozentenstelle an der Willamette University angetreten. Politikwissenschaften, hauptsächlich das Europa des Neunzehnten Jahrhunderts. Wollte bloß mal sehen, worauf die Studenten hier, abgesehen von der Campus-Bibliothek, zurückgreifen können. Den türkisgrünen Teppich und die orangen Regale finde ich toll.«
    »Hallo. Mister MacDougal - oder heißt es Doktor MacDougal?«
    »Ach, ich hab zwar einen Doktortitel, aber irgendwie konnte ich mich nie dran gewöhnen, zumindest nicht außerhalb des Hörsaals. Wenn ich das Wort >Doktor< höre, muss ich immer an Prostatauntersuchungen denken. Bäh, ekelhafte Vorstellung. Da unterhalte ich mich doch viel lieber über die Heiratspolitik in der Habsburger Monarchie.«
    Abermals rührte sie sich nicht und guckte mich erneut etwa drei Sekunden lang an wie ein Schäfchen. Dann sprudelte ein kurzes, freches Lachen aus ihr heraus. Diesmal jedoch hielt sie sich rasch die Hände über den Mund und blinzelte mich aus wässrigen Augen an. Rasch riss sie sich wieder zusammen. »Tut mir Leid«, gluckste sie, fast keuchend vor Anstrengung, nicht wieder in Lachen auszubrechen, hervor. »Normalerweise bin ich nicht so, ehrlich. Ich bin ein sehr ernster Mensch. Ich lache nie.« Sie räusperte sich und zog an ihren Kostümaufschlägen. »Also gut, dann nenne ich Sie wohl besser Mr. MacDougal. Ich heiße Laura Scott. Bin hier die Leiterin der Enzyklopädieabteilung. «
    »Sie haben eine tolle Lache«, lobte ich, während wir Hände schüttelten. Sie hatte einen kräftigen Händedruck und schmale, elegante, langfingrige Hände mit tadellos manikürten Nägeln.
    »Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
    »Seit knapp vier Monaten. Ich stamme ursprünglich aus New York, bin dann hierher an die Willamette gekommen. Hab einen Abschluss in Bibliothekswissenschaften. Das ist meine erste Stelle hier an der Westküste. Das einzig Traurige an der Sache ist das ziemlich magere Gehalt, das man mir hier bezahlt. Kann mir kaum das Katzenfutter davon leisten - ich habe einen fetten Kater namens Grubster, der mindestens so viel frisst wie Garfield. Ach ja, und einen Vogel, Nolan. Auch der hat einen ziemlich guten Appetit.«
    Ich hatte jedes Wort gehört. Grubster und Nolan. Ich mochte Haustiere. Leider konnte ich meinen Blick nicht von ihren Lippen losreißen. Sie hatte wunderschöne, volle Lippen, auf denen noch ein Rest roter Lippenstift zu sehen war. Schon wieder dieses Ziehen in den unteren Regionen. Reiß dich zusammen, Kumpel, du bist doch kein pickeliger Halbwüchsiger. Ich räusperte mich. »Sie haben Recht. Immer das liebe Geld. Da ich selbst ganz schön reinhauen kann, muss ich mich wohl glücklich schätzen, mein Futter mit keinem teilen zu müssen. Muss bloß mich selbst versorgen. Die Uni macht’s mir auch nicht grade leichter. Hab zwar ein Fenster mit Aussicht in meinem Büro, weil ich eine volle Professorenstelle habe, aber das Heizsystem in dem alten Kasten ist derart antiquiert, dass man die Leitungen andauernd pfeifen hört,

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