Wo niemand dich sieht
wünsche ich dir alles Gute. Pass auf dich auf. Du, Kevin, Gwen und ich - wir treffen uns dann zu Weihnachten in Florida.«
Das machten wir immer, hatten es aber im letzten Jahr nicht geschafft, daher die Zusammenkunft im Februar. Ich beugte mich vor und umarmte sie stürmisch. »Ich hab dich lieb, Jilly«, flüsterte ich.
»Ich dich auch, Ford. Mach dir bitte keine Sorgen mehr um mich. Ruf auf jeden Fall Kevin und Gwen an, und sag ihnen, dass mit mir wieder alles in Ordnung ist.«
Das Anwesen der Tarchers lag am Ende eines Straßenbogens in der Brooklyn Heights Avenue. Es überragte die anderen Möchtegern-Herrenhäuser in dieser Straße bei weitem. Sie lagen in gebührendem Abstand voneinander hinter Föhren und Schierlingstannen. Das Gebäude war gut und gerne dreimal so groß wie Pauls und Jillys Haus. Und es sah aus, man glaubt es kaum, als wäre es einem Architekturprospekt über alte viktorianische Herrenhäuser in San Francisco entsprungen. Die Fassade war in beige gehalten, doch es gab noch vier oder fünf ähnliche Farbakzente an den verschiedenen Fensterrahmen und -simsen, den Balkonen und Balkönchen, den Rundbögen, Randleisten und dem ganzen anderen Schnickschnack, dessen Bezeichnung ich nicht kannte. Das Ganze sah aus wie ein riesiges, faszinierendes Zuckerschlösschen, erdacht und entworfen von Leuten mit ebenso viel Fantasie wie Knete.
Vier junge Kerle in roten Jacken und schwarzen Gabardinehosen standen bereit, um die Autos der Gäste zu parken. Als Paul und ich in Pauls Ford Explorer eintrafen, standen schon um die dreißig Autos auf beiden Seiten der gewundenen Straße aufgereiht. Es sah aus, als würde sich das halbe Städtchen hier treffen.
Jilly hatte auch kommen wollen. Sie wollte allen zeigen, dass sie wieder auf dem Damm war, ganz im Gegensatz zu ihrem Porsche. Sie hatte mir erzählt, dass sie bereits ein Bergungsunternehmen beauftragt habe, festzustellen, ob man den Porsche wieder aus dem Meer fischen könne. Ich hatte gesagt: Also gut, wenn du es schaffst, ohne Hilfe bis zum Ende des Flurs zu gehen, kannst du mitkommen. Sie machte acht Schritte und das war’s. Aber es ging ihr gut, sagte Dr. Coates, der seit dem frühen Morgen etliche Tests bei ihr gemacht hatte. Ich fragte ihn, ob er auch zur Party bei Tarchers käme, und er meinte, das würde er sich nur entgehen lassen, wenn irgendwo Drillinge herauspurzeln wollten. Meine Schwester Gwen, die drei Kinder hatte, von denen keins, da bin ich mir sicher, einfach so herausgepurzelt war, hätte ihm sicher heftigst widersprochen.
Beim Aussteigen bat ich Paul: »Paul, erzähl mir etwas über diesen Tarcher.«
»Sein voller Name lautet Alyssum Tarcher, aber frag mich nicht, wo er diesen verrückten Namen her hat. Er wohnt seit gut dreißig Jahren in dieser Gegend und ist stinkreich. Es würde mich nicht überraschen, wenn ihm der halbe Staat gehörte. Jeder hier steht irgendwie in seiner Schuld, wirklich jeder, glaube ich. Nichts geschieht in dieser Stadt ohne sein Wissen und seine Billigung. Die Bürgermeisterin, Miss Geraldine, tanzt absolut nach seiner Pfeife. Sie würde alles tun, was er sagt. Na ja, so wie wir alle, nehme ich an.«
»Musstest du ihn erst um Erlaubnis bitten, bevor du hierher zogst?«
»Nein, eigentlich war er mir sogar behilflich«, bemerkte Paul kühl und abweisend. »Das ist kein Geheimnis. Er hat in mein Projekt investiert. Er hat mir und Jilly das Haus verkauft.«
»Ach so«, sagte ich. Daher bezogen er und Jilly also ihre Gehaltsschecks. Aber das wunderschöne Haus und der Porsche lagen weit über dem Existenzminimum. »Also er finanziert dir dein Wundermittel, hm?«
»Kein schlechter Versuch«, sagte Paul und knallte seine Autotür zu. »Herrgott, Mac, ich bin so froh, dass Jilly bloß ins Schleudern geraten ist. Ich wüsste nicht, was ich täte, wenn sie versucht hätte, sich umzubringen.«
»Ich auch nicht.«
Einer der jungen Kerle tauchte atemlos auf, gab Paul ein großes lila Ticket und fuhr mit dem Ford davon, um ihn weiter unten an der Straße zu parken. »Was sagst du zu dem Kasten, hm?«
»Unglaublich«, gab ich zu und erstieg dabei das gute halbe Dutzend breiter Stufen, das zu dem Zuckerschlösschen hinaufführte. Licht und sanfte Kammermusik drangen aus dem Haus. Als wir das riesige Vestibül betraten, blieb ich einen Moment stehen und atmete einfach nur den unglaublichen Duft dieses Hauses ein. Es roch wie in einem dichten Wald, in den sich ein paar Sonnenstrahlen verirrt hatten - ein Hauch
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