Wo niemand dich sieht
»Dauernd ist er den Leuten mit seiner Rumschnüffelei auf den Geist gegangen.«
»Ein Fremder muss in sein Haus eingebrochen sein und ihn ermordet haben, sicher ein schreckliches Versehen«, sagte Tarcher. »Niemand in Edgerton hätte ihm auch nur ein Haar gekrümmt.«
»Na viele Haare hatte er ja nicht mehr«, bemerkte Paul, den das Thema Haare offenbar bis zur Besessenheit beschäftigte. Tarcher hatte für diese Bemerkung nur ein schwaches Lächeln übrig.
Ich blickte mich um und entdeckte Rob Morrison, der aussah, als wäre er soeben von einem Plakat der »California Dream Men« gesprungen. Er trug ein schwarzes T-Shirt, schwarze Gabardinehosen und ein schwarzes Jackett. Er unterhielt sich gerade mit Maggie Sheffield. Das war das erste Mal, dass ich sie ohne Uniform sah. Sie sah einfach umwerfend aus. Eine Frau in einem roten Kleid, noch dazu einem, das vorne und hinten nicht viel dran hat, wirkt immer umwerfend. Sie trug das dicke Haar hoch aufgetürmt und hatte Sandalen mit zwölf Zentimeter hohen Absätzen an den schlanken Füßen. Am liebsten wäre ich zu ihr hingegangen, hätte ein bisschen an ihrem Ohrläppchen geknabbert und mich von da weiter vorgearbeitet. Dann sah ich Rob Morrisons Hand auf ihrem Rücken, ziemlich weit unten an ihrem fast nackten Rücken. Eine recht besitzergreifende Hand. Interessant.
»Hallo, Mac. Sie sehen sehr gut aus in diesem dunklen Anzug.«
Ich wandte mich um und sah Cal Tarcher vor mir stehen, angezogen wie eine alte Jungfer in einem langen Rock und einer langärmeligen, hochgeschlossenen schwarzen Bluse, dazu flache Ballettschuhe. Na, wenigstens passten Rock und Bluse einigermaßen. Das rote Haar trug sie angeklatscht und zu einem tödlich langweiligen Mozartzopf zusammengebunden. Ihre Brille hatte diesmal schwarze Ränder. Farben schien sie zumindest koordinieren zu können. »Selber Hallo«, sagte ich. Ich fragte mich, wo die junge, selbstbewusste Frau abgeblieben war, die ich kurz vor Pauls und Jillys Haus hatte durchblitzen sehen, die Frau, die auf einmal viel größer, arrogant und eiskalt gewirkt hatte. Nun, vor mir stand jedenfalls wieder Fräulein Mauerblümchen.
»Ich habe gesehen, wie Sie Maggie angestarrt haben. Sie sieht wunderschön aus, nicht?«
»O ja. Ich mag Frauen ohne Uniform. Vielleicht können Sie ja auch bald mal aus Ihrer Uniform schlüpfen. Und möglicherweise so ein rotes Kleid ausprobieren.«
Die kalte, arrogante junge Dame blitzte kurz auf, verschwand jedoch sofort wieder. »Haben Sie schon meine Mutter Elaine kennen gelernt?«
»Die holde Gründerin der BITEASS-Liga? Nein, noch nicht.«
Sie schien sich zu freuen, dass ich mich daran noch erinnerte. »Ich hab gehört, Jilly soll es wieder gut gehen. Ich wollte sie heute besuchen, bin aber bei all den Partyvorbereitungen nicht dazu gekommen. Mutter hat mich den ganzen Tag lang rumgehetzt. Sie würden nicht glauben, was für Berge an Essen heute Abend vertilgt werden. Können Sie sich vorstellen, dass man den lieben alten Charlie Duck getötet hat?«
»Nein, kann ich nicht.«
»Sind Sie hungrig?«
»Kann’s kaum erwarten, mich aufs Büffet zu stürzen. Ach ja, wissen Sie zufällig, ob Paul mit anderen Frauen geschlafen hat?« Ich sah, wie sie die Augen hinter ihren runden Brillengläsern aufriss. War es bloß der Schock über meine unkonventionelle Frage? Nicht gerade das, was man auf einer netten Party erwartete. Oder war es Überraschung darüber, dass ich Bescheid wusste? In diesem Moment wurde mir klar, dass ich die Sache auf sich beruhen lassen musste. Jilly ging es gut. Hier gab es kein Verbrechen zu entdecken, abgesehen von dem sinnlosen Mord an Charlie Duck.
»Paul liebt Jilly«, sagte Cal nach einem kurzen Moment. »Er würde nie mit einer anderen Frau schlafen. Außerdem ist Paul viel zu dürr. Er mag Sex, das hat Jilly jedenfalls zu mir gesagt. Sie sagte, er wäre wirklich gut im Bett.«
»Waren Sie eifersüchtig auf Jilly, Cal?«
9
Sie verzog keine Miene, antwortete lediglich in freundlichem, gleichgültigem Ton. »Überhaupt nicht. Ich mag Jilly. Sie ist immer so fröhlich, so lebenslustig. Möchten Sie ein Bier?«
Ich sah ihr ein paar Sekunden durchdringend in die Augen, aber sie hielt meinem Blick stand. Schließlich nickte ich.
»Kommen Sie, gehen wir in die Küche. Cotter und ich bewahren unseren Biervorrat hinter Vaters Mangos auf. Mutter hasst Mangos, also verstecken wir unser Bier dort, wo sie bestimmt nicht hinschaut. Sie hält nicht viel von Bier, wissen Sie.
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