Wo niemand dich sieht
spielt das überhaupt für eine Rolle? Ich gehe jetzt wieder zurück in Jillys Zimmer. «
Ich sah ihm nach, bis er am Ende des Korridors um die Ecke bog. Dann hörte ich Maggie mit Rob sprechen. Sie kamen gerade aus Jillys Zimmer. Auch die Wachmänner redeten aufeinander ein, alle durcheinander, und man verstand kein vernünftiges Wort.
Da entdeckte mich Mrs. Himmel und winkte mich aufgeregt zu sich. Um sie herum waren mindestens ein halbes Dutzend Schwestern und Pfleger. Sie rang verzweifelt die Hände. So hatte ich Mrs. Himmel noch nie erlebt. Sie sah aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Ihre Blässe machte mir Sorgen. »Mrs. Himmel«, sagte ich ruhig und berührte sie sanft an der Schulter.
»Ach, Mr. MacDougal, es ist alles meine Schuld. O Gott, Mrs. Bartlett ist fort, und es ist meine Schuld.«
Ich kramte meinen bestimmtesten, sachlichsten Ton heraus. Meist half der, um die ärgste Unruhe zu glätten.
»Kommen Sie, gehen wir irgendwohin, wo wir ungestört sind, Mrs. Himmel. Sie müssen mir helfen.« Ich folgte ihr zum Schwesternzimmer. Drinnen saßen zwei Schwestern und tranken Kaffee. Ich hörte, wie eine von ihnen sagte: »Ich hab gehört, sie soll versucht haben, sich umzubringen. Na ja, und jetzt ist sie weg, um es diesmal richtig zu machen.«
Die andere sprang sofort auf, als sie mich sah. »Ach, Mr. MacDougal.«
»Wenn Sie uns bitte entschuldigen würden. Mrs. Himmel und ich müssen etwas unter vier Augen besprechen.«
Die Schwestern flitzten nur so. Ich führte Mrs. Himmel zu einer alten braunen Vinylcouch, die schon bessere Tage gesehen hatte. »Erzählen Sie mir, was passiert ist«, bat ich ruhig und setzte mich neben sie.
Sie holte tief Luft und ballte die Fäuste. Du meine Güte. Die Oberarmmuskulatur von Mrs. Himmel war nicht von schlechten Eltern. Ihr Bizeps zeichnete sich deutlich unter ihrer Schwesternuniform ab, während sie die Hände zusammenballte und wieder öffnete. Glücklicherweise hatte sie nun wieder etwas Farbe im Gesicht. »Mrs. Bartlett war sehr still«, begann sie schließlich. »Ich dachte mir nur, ihr geht eben viel im Kopf rum. Kein Wunder. Ich habe einiges von dem mitgekriegt, was hier so los war, all die Fragen, wie man sie von allen Seiten bedrängte. Ich hab gehört, wie sie sagte, dass ihr diese Nacht nur ganz verschwommen in Erinnerung sei. Na ja, das ist sicher möglich, aber eigentlich glaube ich es nicht.
Ach, verdammt, ich will es nun einfach sagen. Es ist alles meine Schuld. Wenn ich nicht zum Abendessen Shrimps gegessen hätte, dann hätte ich im Stationszimmer gleich neben Mrs. Bartlett gesessen oder wäre bei ihr gewesen, hätte mich um sie gekümmert, und das alles wäre nie passiert!«
»Shrimps?«, fragte ich verständnislos. Sie bemerkte meine Verwirrung, beugte sich vor und tätschelte mir die Hand. Jetzt war sie wieder ganz die Alte. »Woher sollen Sie das auch wissen? Ich bin allergisch gegen Shrimps, aber in letzter Zeit ist es mir so gut gegangen, dass ich dachte, ein kleiner Bissen könnte nicht schaden. Nun ja, es hat mich ganz schön erwischt. Ich hing fast die ganze Zeit über der Kloschüssel, und es ging mir schlechter als Mr. Peete am Ende des Gangs, der gerade eine neue Chemotherapie bekommt. Und weil ich nicht auf meinem Posten war, konnte Mrs. Bartlett einfach so rausspazieren, ohne dass man sie aufhielt oder fragte, ja, ohne dass es überhaupt jemandem auffiel. Und natürlich war sie angezogen. Mr. Bartlett hatte ihr ja heute Nachmittag einen kleinen Koffer gebracht. Es hat sie sehr beunruhigt, wissen Sie, also hat er ihr die Sachen gebracht, die sie haben wollte.«
Paul konnte beschreiben, was Jilly anhatte.
»Als wir vorhin reinkamen, hörte ich, wie Brenda Flack von der Intensivstation sagte, Mrs. Bartlett wäre gegangen, um noch mal zu versuchen, sich umzubringen. Es widerstrebt mir, Ihnen das sagen zu müssen, Mr. MacDougal, aber es ist durchaus möglich.«
»Nein«, sagte ich. »Jilly hat mir klar und deutlich gesagt, dass sie nur die Kontrolle über ihr Auto verloren hat. Sie wollte sich nicht umbringen. Ich glaube ihr. Wieso ist sie gegangen, ohne was zu sagen? Ich weiß es nicht. Aber verlassen Sie sich drauf, ich werd’s rausfinden. Fällt Ihnen noch irgendetwas Ungewöhnliches ein, das heute passiert ist? Etwas Außergewöhnliches?«
»Na ja, da war noch ein Anruf von dieser jungen Dame, mit der Sie gestern hier waren.«
»Laura Scott?«
»Ja, genau. Sie wollte mit Mrs. Bartlett sprechen, aber irgendwie
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