Wo niemand dich sieht
Laura. »Mynahs gehören zur Familie der Stare. Nolan kann nicht reden -zum Glück -, er kreischt nur ab und zu.«
Krächz.
»Er begrüßt Sie.«
»Hi, Nolan.« Ich folgte ihr durchs Wohnzimmer in eine kleine Küche, die aussah, wie aus einem Hauhaltsmagazin gepellt. Eine recht ordentliche Wohnung, nicht allzu groß, nicht so groß wie mein Haus, aber nicht schlecht.
»Wie viele Schlafzimmer?«
»Drei oben. Ein Studierzimmer unten.«
Den Kaffee nahm ich gerne an, lehnte Zucker oder Milch jedoch ab. »Ein schönes Plätzchen haben Sie, Laura.«
»Danke.«
»Habe ich wirklich eine Doppelgarage neben dem Haus gesehen?«
»Ja. Und bevor Sie wieder so sarkastisch die Braue hochziehen, will ich Ihnen sagen, dass ich diese Wohnung von meinem Onkel George geerbt habe. Vor ungefähr achtzehn Monaten. Falls Sie sich wundern sollten.«
Hatte ich natürlich. Endlich etwas, das sich nachprüfen ließ. »Also hat Onkel George vorher hier gewohnt?«
Sie nickte und nippte an ihrem Kaffee. Den Kopf hatte sie zur Seite geneigt, und ihr offenes Haar hing wie ein glänzender Vorhang herunter. Ich hätte versinken können in diesen Haaren, wollte am liebsten Nase und Hände darin vergraben. Ich hatte sofort bemerkt, dass sie keinen BH trug. Jetzt fiel es mir erneut auf, und ich schluckte. Reiß dich am Riemen, Tiger, mahnte ich mich. Dafür bist du nicht hier. Leider. »Ich dachte gerade, dass die Siedlung nicht älter als drei Jahre sein kann.«
»Das kommt hin. Mein Onkel George hat sich die Wohnung gekauft, als sie gerade mit dem Bauen anfingen. Vor anderthalb Jahren starb er dann. Ich werde nie vergessen, wie es war, als ich zum ersten Mal hier reinkam. Nur düstere Farben und schwere, staubige Möbel. Ich hab alles rausgeworfen und einen Heidenspass gehabt, mich ganz nach meinem Geschmack einzurichten.«
Sie wies mit einer Handbewegung zum Wohnzimmer, und ich folgte ihr aus der Küche.
Krächz.
»Nolan mag Kaffee, aber ich gebe ihm immer nur ein kleines Schlückchen, abends vor dem Einschlafen.«
Ich entschied mich klugerweise für einen anderen Sessel, als den, auf dem Nolan gerade saß. Ich nahm Laura gegenüber auf einem Sessel mit einem hellgelben Seidenbezug Platz. Neben dem Sessel stand ein handbemalter hölzerner Zeitschriftenständer. Darin lagen zwei Krimis, ein Weltatlas und drei Reisebücher. Keine einzige Zeitschrift oder Zeitung in Sicht.
»Ich habe Jilly gestern nicht besucht, weil ich arbeiten musste. Ich musste einen Vortrag vor dem Bibliothekskuratorium halten. Abends bin ich dann nicht mehr zum Krankenhaus gefahren, weil es mir ehrlich gesagt nicht besonders gut ging. Ich werde sie heute Nachmittag besuchen.«
Es ging ihr nicht gut? Hatte sie vielleicht auch Shrimps gegessen, wie Mrs. Himmel, und die Nacht über der Kloschüssel verbracht?
»Sie sehen aber wieder ganz gut aus, Laura. Die kleine Erkältung schon wieder weg? Oder war’s eine Lebensmittelvergiftung?«
»Nein, ich hatte höllische Kopfschmerzen. Nicht direkt eine Migräne, aber trotzdem sehr unangenehm. Vielleicht ja von all dem Stress. Ich kam gegen sechzehn Uhr nach Hause und habe danach mit ein paar Unterbrechungen bis heute früh geschlafen. Vor einer Stunde hab ich im Krankenhaus angerufen, um zu sehen, wie’s Jilly geht und um zu fragen, ob ich kommen soll, aber man wollte mir keine Auskunft geben. Sicher, es war erst sechs Uhr morgens. Alles, was man mir sagte, war, Mrs. Bartlett wäre im Moment nicht zu sprechen. Warum sind Sie hier, Mac? Was ist los?«
»Worum ging’s bei Ihrem Vortrag vor dem Kuratorium?«
Sie musste grinsen. »Der Titel meines Vortrags lautete »Lektüre im nächsten Jahrhunderte Es geht darin um die Entwicklung der Bibliotheken in den nächsten zehn Jahren und die unbedingt notwendigen Neuerungen, um die Institution zu erhalten.«
Ich musterte sie nachdenklich. Dann sagte ich: »Ich bin hier, weil Jilly...«
»Nein! Nein, das kann nicht sein!«
Sie war aufgesprungen, machte zwei Schritte auf mich zu und brüllte mir ins Gesicht. »Sie kann nicht tot sein. Sie ist doch gerade erst aus dem Koma erwacht. Es ging ihr gut, verdammt noch mal, das haben die Ärzte gesagt. Ich hab letzte Nacht angerufen. Die Schwester, mit der ich sprach, sagte, es ginge ihr ausgezeichnet.«
»Sie haben nicht selbst mit Jilly gesprochen?«
»Nein, irgendwas ist beim Verbinden schief gegangen. Eine Schwester war dran, hat mich weiterverbunden, und dann war eine andere Schwester dran, statt Jilly. Was ist passiert,
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