Wo niemand dich sieht
verwandelte sich Detective Castanga wieder in den netten, manierlichen Südstaatler. Er versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. Was ihm misslang. Dann rieb er sich die Hände. »Sie sind sehr gut, Miss Scott. Sie sind Bibliothekarin, sagen Sie? In einer öffentlichen Leihbücherei? Kaum zu glauben. Sie haben mich gerade schön säuberlich auseinander genommen.« Er hatte Recht. Sie hatte Castanga mühelos in die Tasche gesteckt.
Detective Castanga wurde wieder ernst. »Also gut, dann hatten der oder die Täter also Sie im Visier, Miss Scott. Ich will Ihnen das jetzt mal glauben. Mac, nehmen Sie sich einen Stuhl und setzen Sie sich her. He, Sie waren ja drauf und dran, mir an die Gurgel zu gehen. Kommen Sie, sie hat Sie nicht gebraucht, um sie vor dem großen bösen Cop zu retten. Also, Miss Scott, wollen Sie ein Aspirin?«
Laura bekam ihr Aspirin, Dr. Kiren untersuchte sie rasch noch einmal, nickte kurz und ging wieder. Detective Castanga setzte sich und zückte seinen Notizblock. Ich selbst konzentrierte mich lediglich darauf, nicht vom Stuhl zu kippen. »Also schießt los, ihr beiden«, sagte er. »Ihr kommt mir ja schon beinah vor wie siamesische Zwillinge. Wer hätte einen Grund, Miss Scott umzubringen?«
Laura und ich schwiegen. Schließlich zuckte ich mit den Schultern. »Ich hab Ihnen ja schon gesagt, weshalb ich ursprünglich nach Edgerton kam, Detective. Nur wegen meiner Schwester, Jilly. Ich habe Miss Scott erst vor ein paar Tagen kennen gelernt.«
Das kaufte mir Detective Castanga nicht ab, das merkte man. Er wandte sich mit hochgezogener Braue an Laura.
»Nein, ich kann mir wirklich keinen Grund denken. Ich bin doch nur Bibliothekarin, um Himmels willen.«
In diesem Moment wusste ich, dass sie log. Eine glatte, sehr überzeugend vorgebrachte Lüge. Aber eine Lüge.
Was Detective Castanga betraf, so wusste ich nicht, was er dachte. Er musterte sie lange nachdenklich.
»Mir scheint, die Scheiße ist erst richtig gegen den Ventilator geklatscht, als Sie auftauchten, Mac. Jetzt nennen
Sie mir mal die Namen von allen Leuten, die Sie in Edgerton kennen gelernt haben.«
Laura war sichtlich erleichtert. Ich kramte jeden Namen hervor, der mir einfiel. Als ich fertig war, blickte er auf. »Okay, Sie haben mir zwölf Namen genannt. Ich werde sie laut vorlesen. Falls Ihnen noch jemand einfällt, sagen Sie’s ruhig. Falls Sie jemanden streichen möchten, sagen Sie’s ebenfalls. Fangen wir mal mit Ihrem Schwergewicht, Alyssum Tarcher, an. Dieser Kerl hat verdammt viel Geld und Einfluss. Hat so ziemlich überall seine Finger drin. Hat gute Beziehungen zu Leuten in unserer Regierung und auch zur Regierung in Washington, wie ich gehört habe. Er steht auf Ihrer Liste, dazu seine ganze Familie.«
»Nun ja, um die komme ich nun mal nicht rum«, entgegnete ich. »Warten Sie, da ist ja noch was passiert, seit ich hier bin. Ein alter Mann namens Charlie Duck wurde vor wenigen Tagen ermordet. Maggie kann sich nicht erklären, wieso er angegriffen und sein Haus durchsucht wurde.« Ich zuckte mit den Achseln, und weil ich ein schlaues Kerlchen bin, schaute ich ihm direkt in die Augen und fügte hinzu: »Sie glaubt, es war nur ein willkürlicher Raubüberfall, aber wer weiß das schon?«
Detective Castanga lehnte sich zurück. »Ja, eine richtige Schande, das. Hatte einen beeindruckenden Ruf in den alten Tagen. Der Mann war ein pensionierter Kriminalbeamter.«
»Ja, Maggie hat’s erwähnt.«
»Er hat die Polizei von Chicago schon vor langer Zeit verlassen. Ich werde mit Maggie reden. Vielleicht hat sie ja schon was rausgefunden. Sie sagte, sie hätte die Leiche ins Gerichtsmedizinische Institut nach Portland geschickt, obwohl die Todesursache offensichtlich Schädelbruch ist. Sie hat Recht. Man weiß nie, was rauskommt. Sie sagte, sie wird darauf drängen, dass man den alten
Knaben bis Dienstag wieder zurückschickt. Da soll seine Beerdigung stattfinden.«
Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Laura zu. »Also gut, Miss Scott, Sie behaupten, Sie hätten keine Feinde. Trotzdem muss ich die Namen von allen Leuten wissen, die Sie in Salem kennen. Und diese Namen werden wir dann miteinander durchgehen.«
Laura nickte und schloss dann die Augen. Sie sah blass und erschöpft aus. Ich wette, ich sah ähnlich aus.
Ich fragte mich, ob ich Castanga auch den Rest erzählen sollte, einschließlich Charlies letzter Worte. Nein, diese Entscheidung wollte ich Maggie überlassen.
Ich dachte an Jilly und Paul. Konnte einer
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