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Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
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zog ihren Mantel an und ging zur Tür.

Sophie trat auf den Bahnsteig hinaus. Alles glitzerte und funkelte im Mondlicht und ein leichtes Schneegestöber tanzte im abflauenden Wind. Ringsum ragten die hohen, dunklen Dreiecke der Kiefern auf, die Äste dick mit Schnee beladen – wie Fahrgäste, die darauf warteten, dass etwas passierte. Hin und wieder hielt einer der Äste die Schneelast nicht mehr aus, und die ganze Ladung rutschte herunter, landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden und wirbelte eine feine weiße Pulverschneewolke auf. Der Ast, endlich von seiner Last befreit, schnellte wieder hoch.
    Die Luft war so kalt, dass Sophie der Atem stockte. Würziger, herber Kiefernduft drang ihr in die Nase, zusammen mit dem weicheren Schneegeruch. Ihr Gesicht brannte vor Kälte. Seltsamerweise hatte sie kein bisschen Angst, obwohl sie doch gerade eingeschlafen war, statt wach zu bleiben und auf den Zug zu lauschen. Nein, es war aufregend, in diesem schneeverhüllten Wald zu stehen, von Mondlicht überflutet, und die Luft zu atmen, die so klar war, dass ihre Lunge davon prickelte. Auch wenn es nicht wie der Silberwald war, in den ihr Vater sie in ihren Träumen mitgenommen hatte. Aber wie sollte das auch möglich sein?
    Nach einer Weile stolperten Marianne und Delphine aus der Hütte heraus, beide in ihre Mäntel gehüllt und mit schlaftrunkenen Augen.
    »Das war echt schlau von dir, Sophie«, sagte Marianne anerkennend.
    »Ehrlich?« Sophie riss ihren Blick von den Bäumen los und schaute ihre Freundinnen an.
    »Wir wussten doch, dass du uns nicht im Stich lässt«, rief Delphine und klatschte in die Hände.
    »Ach ja?«, sagte Sophie verwirrt. Was meinten die beiden nur? Dann sah sie, dass Marianne und Delphine in den Wald hinter ihr schauten, und drehte sich um.
    Ganz in der Ferne, auf einem Gleis, das sie unter den tiefen Schneewehen nicht wahrgenommen hatte, tuckerte ein prächtiger weißer Dampfzug heran, mit zwei riesigen Scheinwerfern, wie Zwillingsmonde, an der Lok vorne. Sophie verschlug es die Sprache vor Staunen.
    »Aber der kommt doch aus der falschen Richtung …«
    Marianne und Delphine hörten gar nicht hin, so aufgedreht waren sie. Sie sprangen auf dem Bahnsteig auf und ab und brüllten und johlten, so laut sie nur konnten.
    Ein langer Pfiff ertönte, begleitet von fröhlichem Quietschen, und dann bremste der Zug und hielt schließlich direkt vor ihnen an. Eine riesige Dampfwolke hüllte sie ein.
    Die drei Mädchen lachten vor Erleichterung und im selben Moment ging die Tür der Lokomotive auf. Ein Mann trat heraus, groß wie ein Bär, mit pechschwarzem Haar und Bart. Er trug eine weiße Tunika mit einem schwarzen Gürtel in der Mitte und Goldknöpfen an einer Schulter und an der ganzen Seite herunter. Seine schwarzen Hosenbeine steckten in langen schwarzen Stiefeln. Der Mann stapfte durch den abziehenden Dampf auf sie zu und verneigte sich tief. Dann richtete er sich wieder auf, lächelte sie strahlend an und zeigte seine kräftigen weißen Zähne. Winzige Lachfältchen bildeten sich um seine Augen, als wollte er ihnen den besten Witz aller Zeiten erzählen.
    »Endlich!«, rief er über das Zischen der Dampflok hinweg. »Marianne, Delphine und meine liebe, liebe Sophie! Wie schön, dass ihr heil hier angekommen seid!« Er redete, wie Sophie es von einem Russen erwartete. Die Wörter, die so rund und prall und gemütlich klangen, krachten fröhlich ineinander, wie lauter kleine bunte Kegel.
    Wieder verbeugte sich der Mann. »Verzeiht mir, dass ich nicht rechtzeitig hier war, um euch vom Zug abzuholen. Aber die russischen Schneestürme, na, ihr wisst ja …« Vielsagend hob er die Schultern. »Aber ihr habt es euch hoffentlich gemütlich gemacht«, fuhr er besorgt fort. »Habt ihr die Hütte gefunden? Ich habe alles schon im Voraus hergerichtet.«
    Die Mädchen nickten und wechselten einen Blick. Keine von ihnen traute sich, als Erste den Mund aufzumachen. Auch Sophie, die sich in der Hütte fast wie zu Hause gefühlt hatte, war jetzt nicht mehr so mutig und wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie konnten doch vor dem fremden Mann nicht darüber diskutieren, ob sie mitgehen sollten oder nicht. Das war unhöflich. Andererseits kannten sie ihn doch gar nicht!
    Der Fremde öffnete eine Wagentür und hielt sie mit einer Hand fest, dann trat er beiseite und reichte ihnen die andere Hand. »Jetzt beeilt euch aber, Mädchen! Wir müssen aus der Kälte heraus. Der Frost ist reißender als ein hungriger

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