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Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
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überstürzt verlassen, damals, in jener verhängnisvollen Nacht, als die ganze Familie ausgelöscht wurde.
    Sophie nahm einen bestickten burgunderroten Mantel von Mariannes Stapel und faltete ihn auseinander.
    Delphine zeichnete die verschlungenen Muster mit dem Finger nach. »So winzige Stiche hab ich noch nie gesehen«, sagte sie. »Los, mach schon, Marianne – mal sehen, wie dir der Mantel steht!«
    Sophie und Delphine hüllten Marianne hinein und steckten ihre steif gefrorenen Füße in spitze Schuhe.
    »So einen Mantel nennt man sarafan «, sagte Marianne.
    »Ach, hör bloß auf mit deinem Reiseführer-Quatsch«, wehrte Delphine ab, während sie einen Schritt zurücktrat und Marianne kritisch begutachtete. »Wenn du von einer Prinzessin empfangen wirst – auch wenn du noch nie was von ihr gehört hast –, musst du dich ein bisschen anstrengen. Willst du nicht doch ein bisschen Lipgloss auftragen? Nur dieses eine Mal?«
    Marianne seufzte. »Das macht doch keinen Unterschied, Delphine. Außer dass ich mich unwohl damit fühle. Ich mag dieses schmierige Zeug nicht auf meinen Lippen haben.« Angewidert verzog sie das Gesicht und riss den Kopf weg, als Delphine ihr einen lipglossbeschmierten Finger auf den Mund drücken wollte, ohne sich um ihren Protest zu kümmern. »Meint ihr, dass Ivans Geschichte über Prinz Vladimir wahr ist?«, fragte sie nachdenklich. »Ich meine, woher will er so genau wissen, was damals passiert ist? Und er hat es so beschrieben, als ob er dabei gewesen wäre.«
    »Vielleicht hat es jemand gesehen – oder gehört – und dann aufgeschrieben?«, erwiderte Sophie. Und im Stillen fügte sie hinzu: Hoffentlich war es so, wie Ivan erzählt hat – dass der Prinz furchtlos und lachend in den Tod gegangen ist . Der Gedanke, dass er vielleicht um sein Leben gebettelt hatte, war ihr unerträglich.
    »Na ja, einiges davon muss schon wahr sein …«, überlegte Marianne.
    »Wieso? Was?« Sophie hätte am liebsten den ganzen Tag nur noch über die Volkonskis geredet, um die Geschichte in allen Einzelheiten auszuleuchten.
    »Na, dass seine Frau und sein Kind in den Wald geflohen sind.«
    Delphine stolzierte in dem langen smaragdgrünen Mantel, der auf ihrem Bett bereitgelegen hatte, zum Spiegel hinüber. Mit ihren langen blonden Locken sah sie wie eine Märchenfee aus. »Und warum muss das unbedingt wahr sein? Wie kommst du da drauf?«, fragte sie und betrachtete sich eingehend im Spiegel.
    »Ganz einfach: Wenn er sie nicht gerettet hätte, gäbe es jetzt keine Volkonskis mehr. Die Soldaten dachten wahrscheinlich, dass die Prinzessin und ihr Kind im Wald umkommen würden, und haben sich nicht die Mühe gemacht, ihnen nachzujagen.«
    Sophie zog ihre schuba aus, in Gedanken immer noch bei der Prinzessin. Wie verzweifelt die junge Frau gewesen sein musste und wie tapfer! Und wie hatte sie es nur geschafft, im Wald zu überleben? So weit oben im Norden? Die Kälte hier war grausamer als ein Wolfsbiss, da hatte Ivan Recht. Wahrscheinlich hatte ihr jemand bei der Flucht in den Wald geholfen, hatte ihr Essen gegeben und ihr eine warme Hütte zum Schlafen zur Verfügung gestellt.
    Sophie schälte sich aus ihren restlichen Kleidern und faltete sie sorgfältig zusammen, so wie sie es aus der Schule gewöhnt war. Ihre Sachen sahen so schäbig aus – dünne, billige Fetzen. Zum ersten Mal sah sie sie mit Mr Tweedies Augen. Und jetzt begriff sie auch, warum er darauf bestanden hatte, dass sie sich etwas Anständiges aus der Kleiderkammer aussuchte. Auf einmal schämte sich Sophie: Sie wollte nicht länger das arme, schäbig angezogene Waisenmädchen sein. Wütend schleuderte sie ihre Sachen auf den Boden und kickte sie unters Bett.
    Dann begutachtete sie den Kleiderstapel, der für sie bereitlag. Ein langer Rock, ein weiches Unterhemd und – wie bei den anderen – ein langer Mantel, der einfacher als der von Marianne und Delphine war, aber dafür aus einem superedlen Silberstoff. Sophie schob ihre Füße in die silbernen Pantoffeln (woher wussten die nur ihre Größe?), stieg in den Rock und zog ihn in der Taille mit der Kordel zu. Dann streifte sie das helle Hemd über ihren Kopf – es roch nach Lavendel – und zum Schluss zog sie den silbernen Mantel an.
    Er hatte schmal geschnittene Schultern und lange, weite Ärmel. Sophie fühlte sich auf einmal ganz außergewöhnlich und edel darin und doch viel mehr sie selbst als sonst. Keines ihrer Kleidungsstücke war je mit Liebe und Sorgfalt für

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