Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
sie ausgewählt worden. Rosemary hatte ihr immer nur das Allernötigste besorgt, was in ihren Augen völlig ausreichte. Aber dieser Mantel hier – perfekt zugeschnitten und sorgfältig genäht, mit einem guten Gespür für den Stoff und seltsamerweise auch für den Körper, den er umhüllen würde – war Welten entfernt von allem, was Sophie jemals getragen hatte.
Neugierig ging sie zum Spiegel. War sie das wirklich? Die unscheinbare Sophie Smith? Ganz fremd erschien sie sich – wie ein anderer Mensch, der es gewöhnt war, edle Stoffe und maßgeschneiderte Kleidung zu tragen. Ein gewagter Gedanke schoss ihr durch den Kopf – sah sie in diesem schönen Gewand nicht ein wenig wie eine Volkonskaja aus? Sophie hob ihre Arme und die Ärmel fielen an ihr herunter wie ein Wasserfall. Wenn sie sich vorstellte, dass sie bald wieder ihre schäbige Schuluniform tragen musste … nein, der Gedanke war einfach zu grässlich!
»Warum hast du den besten Mantel?«, fragte Delphine plötzlich und befühlte neidisch den silbernen Stoff. »Kann ich ihn auch mal anprobieren?«
Sophie zögerte. Sie wollte ihren Mantel nicht hergeben, denn zum ersten Mal begriff sie, dass Kleider vielleicht doch etwas Magisches haben – dass sie nicht nur das Aussehen verwandeln können, sondern auch das Selbstwertgefühl und alles um einen herum.
»Ich hab auch meinen Pulli mit dir getauscht, als du Ärger mit Mrs Sharman hattest«, erinnerte Delphine sie, während sie bereits ihren Mantel auszog und aufs Bett legte. Dann streckte sie fordernd die Hände aus.
Sophie ließ widerstrebend ihren Mantel von den Schultern gleiten und gab ihn Delphine, die ihn schnell anzog und dann von Sophie wegtänzelte. Wie aus Mondlicht gegossen sah sie aus. »Na, was sagt ihr jetzt – bin ich nicht eine echte russische Prinzessin in meinem sarafan ?«, fragte sie.
Sophie stand unbeholfen da, Delphines smaragdgrünen Mantel über dem Arm.
Plötzlich klopfte es an die Tür und Ivan trat ein. Er hatte sich auch umgezogen und trug jetzt eine blaue Tunika, deren Schulterklappen mit großen silbernen Quasten bedeckt waren. Dicke, geflochtene Silberschnüre baumelten über seiner Brust.
»Es ist Zeit«, verkündete er mit einer Verbeugung. »Die Prinzessin erwartet euch zum offiziellen Empfang im Winter-Ballsaal. Bitte folgt mir.«
Delphines Augen blitzten vor Aufregung. »Ich liebe Prinzessinnen!«, rief sie. »Und dieses ganze Brimborium mit ›Winter-Ballsaal‹ und ›offiziellem Empfang‹. Meine Mutter wird begeistert sein, wenn ich ihr das erzähle! Ist doch tausendmal besser, als in Dorset rumzuhängen, oder?« Sie hielt inne und legte verschmitzt den Kopf zur Seite. »Das Problem ist nur, dass wir jetzt keine Zeit mehr zum Umziehen haben, Sophie. Tut mir echt leid.« Und schon rauschte sie an Sophie vorbei.
»Das hättest du dir ja denken können«, flüsterte Marianne ihr zu. »Mann, was ist sie für eine Angeberin!«
»Aber der Mantel sieht wunderschön an ihr aus«, gab Sophie zu.
»Er passt ihr nicht richtig«, widersprach Marianne. »An dir war er perfekt. Wie angegossen.« Mit einem aufmunternden Lächeln fügte sie hinzu: »Aber in dem grünen siehst du bestimmt auch sehr schön aus.«
Sophie zog den Mantel an, der etwas zu groß war. Und sie fühlte sich längst nicht so gut darin.
Marianne hakte sie unter. »Uns ist das sowieso egal, oder?«, sagte sie tröstend. »Wir sind ja nicht wie Delphine, die überall nur Eindruck schinden will.«
Sophie nickte, aber ausnahmsweise konnte sie der netten, vernünftigen Marianne nicht Recht geben. Denn insgeheim musste sie sich eingestehen, dass auch sie Eindruck auf die Frau machen wollte, die in diesem vergessenen Palast lebte, die Ivan ein neues Leben ermöglicht und geschworen hatte, das Schicksal der Volkonski-Familie zum Guten zu wenden. Eine Frau, die aus einer Familie stammte, deren Männer lachend in den Tod gingen, um ihre Frauen und Kinder zu retten.
Sie folgten Ivan die breite Treppe hinunter, dann durch eine Reihe von Räumen, die einst sehr schön gewesen sein mussten. Sophie sah im Vorbeigehen vergoldete Zierleisten an allen Fenstern, bemalte Decken und Öfen mit kunstvollen Schmuckkacheln. Möbel gab es nur noch wenige und das meiste davon war beschädigt und abgenutzt. Nach der Ermordung des Prinzen waren die Soldaten wahrscheinlich durch den Palast gestürmt, hatten Türen eingetreten und geplündert.
Aber einige der Räume waren kaum angerührt worden und das waren die
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