Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
wurden allein im Zug zurückgelassen. Und weil wir die falschen Fahrkarten hatten, wurden wir rausgeschmissen … und unsere Lehrerin, Miss Ellis … also ich bin sicher, dass sie überhaupt nicht weiß, wo wir sind.«
»Und unsere Eltern auch nicht.«
Die Prinzessin nickte langsam und lächelte immer noch Delphine an.
»Und wir müssen am Montagmorgen in der Schule sein«, fügte Marianne noch hinzu.
Die Prinzessin zog eine Augenbraue hoch, als sei ihr das alles völlig neu.
»Auf jeden Fall hat man uns kein Wort davon gesagt, dass wir hier erwartet werden«, erklärte Sophie abschließend.
»Nun, ich kann verstehen, dass ihr ein wenig verwirrt seid«, entgegnete die Prinzessin, obwohl Sophie kein bisschen verwirrt war. Sie hatte doch alles ganz genau erklärt. Nur eins hatte sie nicht erwähnt: dass Dr. Starowa vor ein paar Wochen an ihrer Schule gewesen war und ein Foto von ihr im Pausenhof gemacht hatte. Vielleicht weil sie sich inzwischen selbst nicht mehr so sicher war? Marianne hatte ihr jedenfalls nicht geglaubt, als sie mit ihr darüber geredet hatte.
»Ivan Ivanovitsch hat euch doch alles erklärt«, fuhr die Prinzessin fort.
Ivan nickte, aber die Prinzessin hatte so gesprochen, als brauche es keine Bestätigung, als machten Ivans Erklärungen alles ungeschehen, was passiert war – dass sie allein im Zug zurückgelassen wurden, dass der Schaffner sie auf einem verlassenen Bahnsteig ausgesetzt hatte, dass sie an diesen abgelegenen Ort gebracht worden waren.
Die Prinzessin verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln, das ein hinreißendes Grübchen in ihre Wangen zauberte. »Und ihr werdet doch nicht nach St. Petersburg zurückwollen! In den langweiligen Unterricht an der Schule 59?« Fassungslos schüttelte sie den Kopf, als hätte ihr jemand vorgeschlagen sich von einem Bienenschwarm stechen zu lassen. »Ach, und falls ihr befürchtet, ihr könntet irgendwelche Museumsbesuche verpassen – der Jusupow-Palast ist völlig überschätzt, finden Sie nicht auch, Ivan?«
Der nickte, als sei es eher eine Strafe als ein Vergnügen, dort hinzugehen.
»Außerdem habe ich ein paar Überraschungen für euch geplant.« Die Prinzessin ballte die Fäuste, als könne sie es kaum noch erwarten und müsse ihre Aufregung auf diese Weise bezähmen. »Und glaubt ihr etwa, dass ihr zu einem Mitternachtspicknick auf einem gefrorenen See eingeladen werdet, wenn ihr zu eurer Miss Ellis zurückgeht? Oder dass ihr ein Automatenorchester bewundern und um Diamanten spielen dürft? Und was ist mit Schlittschuhlaufen in der Dämmerung? Glaubt ihr, dass ihr so etwas im langweiligen St. Petersburg geboten bekommt?«
Sophies Herz schlug schneller. Ein Mitternachtspicknick? Sie warf einen Blick auf Marianne, die unbehaglich herumzappelte. Normalerweise konnte Sophie es kaum ertragen, wenn ihre beiden Freundinnen nicht ganz und gar einig mit ihr waren. Aber jetzt, in diesem Moment, brannte sie so sehr darauf, all diese Dinge mit der Prinzessin zu machen, dass sie keine Rücksicht auf Mariannes Gefühle nehmen konnte.
»Aber vielleicht sind russische Grammatiklektionen mehr nach eurem Geschmack?«, zog die Prinzessin sie auf. »Und davon werdet ihr mehr als genug bekommen, wenn ihr nach St. Petersburg zurückgeht. Ich kann euch nur warnen: Russisch ist sehr schwer. Wollt ihr wirklich lieber Verben konjugieren und die Kurzform der Adjektive lernen, als in Pelze gehüllt auf dem See zu picknicken und Kirschpunsch zu trinken?« Im Flüsterton fügte sie hinzu: »Selbstverständlich schicke ich euch zurück, wenn ihr wirklich nicht hierbleiben wollt …«
»Können wir nicht wenigstens unsere Eltern anrufen?«, fragte Marianne, ohne aufzublicken, als könne sie der Prinzessin nicht in die Augen sehen. »Ich habe doch versprochen, dass ich anrufe, wenn ich angekommen bin. Aber mein Handy hat keinen Empfang.«
»Meins auch nicht«, stimmte Delphine zu.
»Aber ja, natürlich, Marianne«, sagte die Prinzessin und trat einen Schritt auf sie zu. »Selbstverständlich musst du deine Eltern anrufen.« Ihre Stimme war wie in Samt gehüllt. Warm, beruhigend, so dass alle Sorgen sich in Luft auflösten. »Sobald die Telefonleitungen wieder funktionieren …«
Dann sagte sie etwas auf Russisch zu Ivan. Er nickte bereitwillig.
»Der Schnee, versteht ihr … und wir sind hier so abgelegen.« Die Prinzessin schüttelte den Kopf, nahm Mariannes Hand in ihre beiden und fügte hinzu: »Du musst nicht so ein ängstliches Gesicht machen –
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