Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
Freundinnen hier«, fuhr Delphine tapfer fort. »Auf Klassenreise.«
»Soll das ein Witz sein?« Das Gesicht der Prinzessin blieb ausdruckslos, aber ihre Lippen wirkten dünner als vorher und ihre Stimme klang scharf. »Ivan.«
Ivan schaute sie zerknirscht an. »Ich habe Ihre Anweisungen befolgt«, stammelte er. »Ich habe sie heil hierher…«
Die Prinzessin musterte die drei Mädchen der Reihe nach, als müsse sie sie nur eindringlich genug ansehen, um zu finden, was sie verloren hatte. Schließlich ruhte ihr Blick auf Sophie, ihre Stirn glättete sich und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Wieder hatte Sophie das Gefühl, dem Blick dieser Frau nicht standhalten zu können. Er war einfach zu hell, zu durchdringend.
»Also du …«, wisperte die Prinzessin und trat auf Sophie zu. »Du bist Sophie Smith.«
»Wir haben die Mäntel getauscht«, hörte Sophie sich sagen. »Delphine sieht hübscher in dem silbernen aus, deshalb haben wir getauscht.«
Die Prinzessin nickte langsam. »Gut, gut, aber jetzt keine Streiche mehr«, sagte sie. »Wir werden nicht so viel Spaß miteinander haben, wenn ihr mir weiter solche Streiche spielt.«
»Tut mir leid«, murmelte Sophie, obwohl sie nicht wusste, wofür sie sich entschuldigen sollte. Das war doch kein »Streich« gewesen.
»Ist schon gut«, sagte die Frau und lächelte sie an. »Und mach dir nichts draus, dass das Formular zerknüllt ist. Ich habe eine Kopie.«
Dann drehte sie sich um, fischte ein weiteres Blatt aus dem Stapel hervor und schob es Sophie hin.
Sophie schaute auf das Papier hinunter. Alles war auf Russisch geschrieben, fette Großbuchstaben, die ihr nichts sagten, oder umgedrehte Buchstaben, die keinen Sinn ergaben. Das Papier war dick, mit einem Wasserzeichen in der Mitte. Es wirkte einschüchternd offiziell, gar nicht wie die Zettel, die die Schule normalerweise an die Eltern oder Erziehungsberechtigten verteilte.
»Nun, was ist? Willst du nicht unterschreiben?«, sagte die Prinzessin mit gesenkter Stimme.
Sophie zögerte, dann schrieb sie ihren Namen sorgfältig auf den unteren Rand.
Die Prinzessin riss ihr das Papier weg, faltete es einmal zusammen und ließ es in eine große Lederbrieftasche gleiten. Dann erst hob sie die beiden anderen Anträge auf und steckte sie neben den von Sophie in ihre Brieftasche.
Zum ersten Mal lachte sie – ein unbefangenes, zufriedenes Lachen, das aus vollem Hals kam. »So, und jetzt kann der Spaß losgehen!«, rief sie. »Ich will alles über euch wissen! Jede noch so winzige Einzelheit aus eurem Leben. Ihr seid meine neuen Londoner Freundinnen!«
Sie klemmte die Brieftasche fest unter den Arm und fügte hinzu: »Aber jetzt muss ich euch erst mal eine Weile allein lassen. Ich habe einigen Papierkram zu erledigen und der Tag ist schon fast zu Ende. Ihr müsst essen und euch ausruhen.«
Sophie schaute aus dem kleinen Fenster. Das Dämmerlicht ging schon fast in Dunkelheit über. Die Sterne leuchteten heller, wie Stecknadelköpfe aus Licht, die man durch ein Prisma sieht. Die Zeit schien im Palast der Volkonski anders zu vergehen. Alles atmete hier Geschichte – wirbelte herum wie Schneegestöber. Das Tageslicht wurde vom Winter gefangen gehalten. Sophie seufzte. Es war so anders, auf eine verzauberte, romantische Art anders als alles, was sie bisher erlebt hatte. Und doch auch wieder nicht – wie etwas, das ihr schon immer vertraut war.
Die Prinzessin lächelte Ivan an. »Würdest du dich einen Augenblick um meine teuren Gäste kümmern, Ivan?«
»Aber ja, Prinzessin, selbstverständlich.«
»Hüte sie wie verlorene Diamanten, die im Schnee gefunden wurden …« Die Prinzessin hob ihre lederne Brieftasche hoch und küsste sie, dann schaute sie Sophie an. »Danke, dass du gekommen bist«, wisperte sie und lief leichtfüßig zur Tür.
Der Weiße Speisesaal, in dem gut hundert Gäste Platz gefunden hätten, war fast ganz leer, außer einem Tisch, der für drei Personen gedeckt war. Dunkle Rechtecke an der Wand verrieten, wo einst Bilder gehangen hatten. Am anderen Ende des Saals rieselte Schnee durch ein Loch in einem hohen, zerbrochenen Fenster herein und türmte sich auf den dunklen Dielenbrettern auf. In den Kerzenhaltern knisterten die Kerzen und das Wachs tropfte bereits an den geschwungenen silbernen Armen herunter.
»Das ist kein Palast, sondern eine Bruchbude«, sagte Marianne zu Sophie und Delphine und senkte schnell die Stimme, als Ivan sich zu ihr umdrehte. »Die Prinzessin hat bestimmt
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