Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
ihr ganzes Geld verloren.«
Delphine schüttelte den Kopf. »Aber sie muss doch Geld haben«, widersprach sie. »Hast du nicht ihr Kleid gesehen?«
Marianne zuckte nur die Schultern.
»Das Kleid war teuer«, beharrte Delphine. »Das ist eindeutig Haute Couture.«
»Vielleicht ist sie einfach zu geizig, um den Palast herrichten zu lassen«, überlegte Marianne. Sie nahm die große, gestärkte Leinenserviette an ihrem Platz hoch und legte sie auf ihren Schoß.
Sophie schaute zu, wie Ivan auf einer großen Anrichte mit silbernen Platten hantierte. Wo waren eigentlich die anderen Dienstboten, die er erwähnt hatte? Und überhaupt – konnte eine Prinzessin geizig sein? Noch dazu diese hier? Sophie wollte es nicht glauben, genauso wie sie den Gedanken nicht ertragen konnte, dass Prinz Vladimir als Feigling gestorben war.
»Wenn der Palast so lange leer gestanden hat«, sagte sie, »und die Prinzessin eben erst zurückgekehrt ist, hatte sie vielleicht einfach noch keine Zeit, Reparaturen machen zu lassen.« Sie schaute auf die verblassten Muster an den Wänden.
»Man sieht sofort, dass sie eine Prinzessin ist«, behauptete Delphine, die Augen auf Ivans Rücken geheftet. »Schon allein an ihrer Aufmachung. Habt ihr die ganzen Ringe gesehen? Ich versteh nur nicht, warum sie unbedingt hier leben will. In St. Petersburg könnte sie doch viel mehr Spaß haben.«
»Vielleicht will sie gar keinen Spaß«, wandte Sophie ein.
»Was soll sie denn sonst wollen?« Delphine drehte sich um und fasste rasch den fast leeren Saal ins Auge, der einst so prunkvoll gewesen war und jetzt nur noch traurig aussah.
»Mir gefällt das Verstaubte hier – dass alles mal so schön war und jetzt nur noch alt und verschlissen ist. Das finde ich viel romantischer«, sagte Sophie mehr zu sich selbst. »Und die Geschichte von dem letzten Volkonski-Prinzen! Ich frage mich nur, wie die Prinzessin mit einem kleinen Kind im Wald überleben konnte?« Es war wie verhext, aber irgendwie konnte sie an nichts anderes mehr denken.
»Wozu ist sie eine Prinzessin, wenn sie nicht den Winter in Gstaad und den Sommer in Cap Ferrat verbringen kann?«, sagte Delphine. »Hier sieht sie doch keiner. Ich meine, das bringt doch nichts.«
»Es will ja nicht jeder nur gesehen werden, Delphine«, wies Marianne sie altklug zurecht.
Aber Sophie gab Delphine insgeheim Recht. Das Leben an einem so abgelegenen Ort war bestimmt nicht einfach. Außer vielleicht für einen Bücherwurm wie Marianne. Auch sie selbst, Sophie, hätte hier glücklich sein können – es gab so viel zu entdecken, so viel Geschichte, und der Park war wunderschön. Stundenlang konnte man hier im Schnee spazieren gehen. Aber die Prinzessin? Was hatte sie dazu gebracht, hierher zurückzukommen und ganz allein in dem verfallenen Palast zu leben? Dabei wirkte sie so lebendig, so energiegeladen – eine Frau, die bestimmt alle Blicke auf sich zog, sobald sie einen Raum betrat. Sophie konnte sich die Prinzessin gut in St. Petersburg mitten im quirligen Großstadtleben vorstellen.
Nachdenklich nahm sie einen Löffel in die Hand. Ein Tierkopf war darin eingraviert, aber kein Löwe oder Hund … nein, vielleicht wieder ein Wolf? Wahrscheinlich waren es diese Dinge, die Anna Fjodorovna aus ihrem Leben in St. Petersburg hierhergelockt hatten. Das Wissen, dass sie aus einer Familie stammte, die Silberbesteck mit eingravierten Wolfsköpfen besaß. Gefühle, die Sophie nie für Rosemarys Wohnung in England hegen würde. Für Rosemary war alles Dekorative nur oberflächlicher Schnickschnack – ihr konnte es gar nicht nüchtern und minimalistisch genug sein.
»Du hast den Wolf entdeckt«, sagte Ivan lächelnd.
»Ist das ihr Familienwappen?« Delphine starrte auf ihren Löffel. »Ich kenne eine Familie in Paris, die Stachelschweine auf allem draufhat.«
»Warum haben sie einen Wolf als Wappen ausgesucht?«, wollte Sophie wissen.
»Weil das wie eine Unterschrift für die Volkonskis ist«, erklärte Ivan. »Statt ihren Namen zu schreiben, verwenden sie den Wolfskopf als Symbol.« Er lächelte Sophie an. »Wenn du dich im Palast umschaust, wirst du sehen, dass in alle Zierleisten Wölfe geschnitzt und die bronzenen Türgriffe wie Wolfspfoten geformt sind – jedenfalls die, die noch nicht gestohlen wurden …«
»Die Kinderzimmertür!«, sagte Sophie. »Ich hab es gesehen! Und im Zug auch! Aber warum ein Wolf?« Sie betrachtete das Tier genauer. Das Maul stand offen, die Zähne waren gefletscht. Das
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