Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
Vom Netzwerk:
Tier sah alles andere als freundlich aus.
    »Weil Volkonski ›Wolf‹ bedeutet«, erklärte Ivan. Er brachte eine große Suppenterrine und Suppenschalen an den Tisch.
    »Dann ist die Prinzessin Volkonskaja also eine Wolfsprinzessin«, murmelte Sophie.
    »Auf dem Porzellan ist auch ein Wolf drauf«, verkündete Marianne.
    »Die weißen Wölfe der Volkonskis«, wisperte Ivan. »Die Hüter des Palastes.« Er verstummte, als hätte er bereits zu viel gesagt.
    »Hüter«, wiederholte Sophie mit großen Augen und ein wohliger Angstschauer lief ihr über den Rücken. Wie aufregend einen Wolf als Hüter zu haben! Statt eines langweiligen Vormunds wie Rosemary. Mit einem Finger zeichnete sie die Umrisse des Tierkopfs auf ihrer Schale nach.
    »Als der Prinz tot war«, fuhr Ivan fort und blickte sich verstohlen im Saal um, »und die Soldaten den Palast geplündert und seine ganze Pracht und Schönheit zerstört haben, sind die Wölfe hier eingedrungen und haben die Volkonskis blutig gerächt. Nicht viele Soldaten sind in jener Nacht mit dem Leben davongekommen.«
    Marianne schauderte. »Ich bin nicht wild auf Wölfe«, wisperte sie.
    »Ach, das ist doch alles schon so lange her«, beruhigte Ivan sie und schöpfte rubinrote Suppe in Sophies Schale. »Ihr habt jetzt nichts mehr zu befürchten.«
    Sophie nahm den schweren Silberlöffel in die Hand und tunkte ihn in die Mitte der Schale. Dann nippte sie an der Suppe, die warm, süß und rauchig schmeckte.
    »Was ist das?«, fragte sie Ivan, der jetzt auch Delphines Schale und dann die von Marianne mit Suppe füllte. »So was hab ich noch nie gegessen.«
    »Das ist Borschtsch «, erklärte Ivan. »Rote-Bete-Suppe. Die Prinzessin wollte euch ein richtiges russisches Festmahl bieten!« Ruhig und geübt hantierte er mit Besteck und Gläsern und allmählich fühlten sie sich wie eingehüllt von dem Raum, als besitze er die Fähigkeit, sie so warm und herzlich willkommen zu heißen wie ein lebendiger Mensch. Lag es an der köstlichen Suppe oder an dem weichen Kerzenlicht oder an der bleiernen Müdigkeit in ihren Knochen, dass Sophie sich auf einmal so geborgen und rundum wohl fühlte?
    »Canis lupus linnaeus.« Marianne schaute mit leerem Blick vor sich hin.
    »Canis lupus wasus?«, fragte Delphine.
    »Canis lupus linnaeus«, wiederholte Marianne. »Das ist der lateinische Name des Grauwolfs. Millie Dresser hat in Bio ein Projekt über Wölfe gemacht.« Langsam schüttelte sie den Kopf. »Aber Millie ist so faul, sie hat es nicht mal geschafft, sich richtige Informationen zu besorgen«, fuhr sie fort und legte ihren Suppenlöffel in die leere Schale. »Es waren alles nur Zeichnungen.« Mit einem ratlosen Ausdruck im Gesicht nagte sie an ihren Lippen. »Aber ich kann mich erinnern, dass sie den lateinischen Namen nachgeschlagen und in so einer riesigen, schnörkeligen Schrift draufgeschrieben hat, damit sie mehr Seiten vollkriegt. Außerdem hat sie geschrieben, dass jeder Wolf ein ganz eigenes, unverwechselbares Heulen hat. Wie eine Unterschrift oder ein Fingerabdruck.« Marianne schloss die Augen und dachte angestrengt nach. »Zum Wolfsfell sagt man auch ›Balg‹«, fügte sie hinzu und machte ihre Augen wieder auf. »Und Wölfe sind intelligente Jäger, die ihre Beute unerbittlich zu Tode hetzen.«
    »Und das hat Millie Dresser alles geschrieben?«, fragte Sophie überrascht.
    »Das glaub ich nie und nimmer«, schnaubte Delphine.
    Die drei Mädchen wechselten einen Blick und kicherten, als sie an die schusslige Millie Dresser dachten, die ständig die Lehrer auszutricksen versuchte, ohne dass etwas dabei herauskam. Aber London war jetzt weit weg. Und sie genossen es, hier nach der langen Reise zusammenzusitzen und sich von Ivan umsorgen zu lassen. Sophie spürte, wie ihre Glieder schwer wurden, und sie ließ sich immer tiefer in die wohlige Atmosphäre sinken, in der Gewissheit, dass alles war, wie es sein sollte, und dass sie hier nichts zu befürchten hatten.
    Als sie später in ihr Zimmer kamen, stellten sie fest, dass jemand in ihrer Abwesenheit da gewesen sein musste. Ihre Pelze und Decken waren hergebracht und die Nachthemden für sie bereitgelegt worden.
    Das Gepäck aus dem Zug war zu einem ordentlichen Stapel aufgetürmt. Delphine fing sofort mit dem Auspacken an. »Ich glaube nicht, dass ich eine Hose dabeihabe, die ich zum Eislaufen anziehen kann«, murmelte sie. »Wenn ich doch nur die camelfarbene Cordjeans mitgenommen hätte!«
    Marianne und Sophie, die ganz schläfrig

Weitere Kostenlose Bücher