Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
Der Diamantstrang quoll über den Arm der Prinzessin wie ein Schiffstau.
»Lange genug, um einen Mann damit zu erhängen«, murmelte sie und streifte Sophie mit einem Blick, der nichts als die tiefste Verachtung ausdrückte. Dann warf sie den Kopf zurück, schloss ihre eisblauen Augen und lachte. Damit war der Bann gebrochen.
»Das ist sehr großzügig von dir«, spottete sie. »Willst du sie mir wirklich geben?«
Sophie wusste nicht, was sie meinte. Die Diamanten gehörten doch ihr!
»Hast du dir das auch gut überlegt?«, stichelte die Prinzessin weiter.
Der General, der alles wortlos beobachtet hatte, kam jetzt herüber. Die Prinzessin schwenkte die Diamanten vor seiner Nase herum und lachte.
Der General nahm sie ihr aus den Händen und ließ sie langsam durch seine Finger gleiten. »Du hast wirklich nicht zu viel versprochen«, murmelte er beinahe ehrfürchtig. Er hielt den Strang hoch und studierte sorgfältig jeden einzelnen Stein. »Facettenschliff, exquisit, alle lupenrein, jeder einzelne mindestens fünfzig Karat!«
»Die sind nicht für Sie!«, schrie Sophie. »Geben Sie sie sofort zurück! Sie gehören der Prinzessin! Das sind die Volkonski-Diamanten!«
Der General spielte den Überraschten. »Hast du das gehört, Anna?«, sagte er kopfschüttelnd. »Das kleine Wolfsmädchen sagt, dass diese Diamanten der Volkonski-Prinzessin gehören!«
Die Prinzessin lächelte ihn an. »Das stimmt ja auch!«, wisperte sie.
Sie schauten einander in die Augen, wirkten auf einmal wie elektrisiert. Die Prinzessin lächelte, als der General in seine Brusttasche griff und ein Bündel Papiere hervorholte.
»Nun, die hier könnten sich vielleicht doch noch als nützlich erweisen«, sagte er und schwenkte sie vor Sophies Gesicht herum.
Sophie sah das Wasserzeichen auf dem dicken weißen Paper, die großen russischen Buchstaben … und am unteren Rand in ihrer eigenen Schrift, die auf diesem Dokument geradezu lächerlich aussah, den Namen »Sophie Smith«.
»Pfui, Grigor – du musst es ihr nicht auch noch hinreiben«, lachte die Prinzessin und nahm ihm die Papiere ab.
Der General schlang sich den Diamantstrang über die Schulter. Die Steine funkelten im Kerzenlicht, fingen den ganzen Raum in ihren unzähligen Facetten ein. »Nun mach schon, Anna!«, bellte er. »Wir gehen!«
»Wirklich? Darf ich mitkommen?«, stieß die Prinzessin hervor.
Der General zuckte die Schultern, zog seine Lederhandschuhe an und ballte die Fäuste. »Aber sieh zu, dass du den Beweis in den Händen hältst.« Er ging ein paar Schritte in Richtung Tür, dann drehte er sich noch einmal um: »Und diesmal solltest du dir keine Fehler erlauben, Anna«, sagte er. »Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf. Und das Gleiche gilt für Prinzessinnen.«
»Ich komme nicht mit Ihnen!«
»Du wirst nicht gefragt, Wolfsmädchen.«
Der Kronleuchter bebte wieder, als Sophie zur Tür gezerrt wurde, und sie schaute hoch. Dimitri hatte ein paar schwere Kristallstränge auseinandergeschoben und starrte zu ihr hinunter. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie sein Gesicht sah. Sie hatte ihn enttäuscht. Aber was sollte sie machen? Die Diamanten gehörten Anna Fjodorovna, und natürlich hätte Sophie sie niemals dem General gegeben, aber es stand ihr auch nicht zu, die Kette zu behalten. Dimitri wandte sein Gesicht ab. Anna Fjodorovna hielt Sophie am Ellbogen fest und ging mit ihr den Flur entlang. Mit der anderen Hand umklammerte sie die Papiere.
»Ich versteh das nicht«, sagte Sophie und schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter.
»Du dummes, einfältiges Unschuldslamm«, spottete die Prinzessin mit ihrer melodischen Stimme. »Ich hatte gehofft, wenn ich dich hierherbringen würde … dann … oh, ja, dann würde ein Wunder geschehen!« Sie hielt inne und seufzte.
Inzwischen durchquerten sie einen engeren Gang mit einer viel niedrigeren Decke, der noch viel einsamer und trostloser war als alles, was Sophie bis jetzt von diesem Palast gesehen hatte.
»Ich hätte dich loswerden sollen, solange ich die Chance dazu hatte«, fuhr die Prinzessin fort.
Sophie verstand kein Wort, obwohl die Prinzessin doch Englisch redete. Und es waren keine schwierigen Wörter. Aber was wollte sie damit sagen?
»Mich loswerden?«, wiederholte sie langsam.
In gereiztem Ton erwiderte die Prinzessin: »Ja, aber Ivan ist mir in die Quere gekommen. Ich hätte es natürlich als Unfall hingestellt – ich hätte gesagt, dass ich auf den Wolf gezielt habe und du
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