Wo Tiger zu Hause sind
Mund gestopft wird. Und glaube mir, er wird sie für die Störung seines Friedens zahlen lassen … Und ich? Mal angenommen, die gute Carlotta verwandelt sich unverhofft zu einer Märtyrerin der Revolution – woran man zweifeln dürfte – und verschafft mir alles, was ich für einen Artikel brauche, aber glaubst du, der würde besonders ins Gewicht fallen? Millionen Dollar und das Pentagon auf der einen Seite, auf der anderen ein gewisser Eléazard von Wogau, der vor zwanzig Jahren in Deutschland aktenkundig war wegen Sympathisantentum zu irgendwelchen ganz furchtbar schlimmen Gruppierungen … Sag selbst, wie das aussieht!«
Loredana blickte ihn an; sie schien sich zu fragen, ob er überhaupt begreifen könne, was sie jetzt sagen würde:
»
Auf das Gras schlagen, um die Schlange aufzuscheuchen
… Sag mir, wenn du deinen Pessimismus überwunden hast, und ich stecke dir ein bisschen was von den
36 Strategemen
, einverstanden?«
Jetzt musterte Eléazard wiederum sie mit Befremden.
»Warum nicht«, meinte er, aber der Tonfall verriet nicht eben lebhaftes Interesse.
»Wenn du so guckst, siehst du aus wie dein Papagei«, sagte sie, als er den Computer anschaltete. »Weißt du, wie man bei mir zu Hause sagt?
Chi non s’avventura, non ha ventura
. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt … Na gut, ich lasse dich ›arbeiten‹ …«
Wirklich eine bemerkenswerte Frau, dachte er, als Loredana hinausgegangen war; sie wollte zu Soledades Zimmer. Ihr Nonkonformismus, ihre beständige Mischung von Zartheit und schonungsloser Klarsicht bezauberten ihn derart – das gestand er sich selbst –, dass Elaines Bild geradezu verblasste, das er doch so gern auf dem Hauptaltar bewahrt hätte. Ihre Aktion mit dem Gouverneur konnte er immer noch nicht glauben. So eine geschickt eingefädelte Situation, einzig und allein, um ihn zu ohrfeigen! Wirklich große Kunst, aber es beirrte ihn doch ein wenig. Wenn andere derart geschickt manipuliert wurden, war er selbst vielleicht auch in Gefahr? Ging sie nicht mit ihm genauso um? Sogar Euclides war ihrem Zauber erlegen. Andererseits, sie hatte die Amis im Hotel so was von gehässig angeschaut, dass es ihm immer noch kalt den Rücken hinunterlief. Wenn es eines gab, dessen sich Eléazard bei Loredana sicher war, dann dies: Sie war zu allem imstande.
Loredana klopfte an Soledades Tür und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Soledade lag ausgestreckt auf ihrem ungemachten Bett, neben sich eine angebrochene Packung Kekse, und sah im Fernsehen Fußball.
»Brasilien– UDSSR «, sagte sie, ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden. »Eins zu eins, es ist fast vorbei … komm, setz dich schnell hin!«
Aber Loredana hielt plötzlich inne: Große, feuchte Buchstaben waren gerade noch an den Wänden zu lesen, bevor sie wegtrockneten, immer wieder derselbe Satz, bis hin zu der auf dem Schminktisch liegenden Dose mit Insektenspray:
Eléazard, te quero
…
»So ist das also«, lächelte sie, »du bist in ihn verliebt!«
Soledade blickte auf, die Augen so groß wie die Kugeln im Fernsehlotto. Als ihr klar wurde, dass die Schrift noch lesbar war, schielte sie ulkig und verbarg das Gesicht hinter einem Zipfel ihres Lakens.
Loredana setzte sich neben sie.
»Sei nicht dumm«, tadelt sie freundlich. »Ich verrate nichts. Das geht mich nichts an.«
Es gelang ihr, das Laken ein wenig zu lüften, hinter dem Soledade sich krümmte.
»Du sagst wirklich nichts, versprochen?«
»Versprochen, ich schwöre es!« Loredana nahm sie in den Arm. »Aber sag mal, habt ihr schon miteinander geschlafen?«
»Nein!« Soledade war sichtlich verlegen ob der direkten Frage. »Na ja, beinahe … einmal hat er mich in sein Bett mitgenommen, aber er war so betrunken, dass er gleich eingeschlafen ist und mich gar nicht berührt hat. Ich glaube, er erinnert sich nicht mal daran«, fügte sie ein wenig verächtlich hinzu. »Bist du nicht eifersüchtig?«
»Natürlich bin ich eifersüchtig«, scherzte Loredana. »Mich hat er noch nicht mal versucht zu küssen.«
»Dabei liebt er dich … Ich kenne ihn gut genug, ich sehe es daran, wie er dich anschaut.«
»Ich weiß …« Loredanas Blick verlor sich im Leeren. »Ich mag ihn ja auch sehr gern. Aber keine Sorge, zwischen uns wird es nie etwas geben.«
»Warum denn das?«
»Weil … Geheimnis gegen Geheimnis, ja? Du verrätst auch nichts?«
Plötzlich sprach der Kommentator im Fernsehen schneller, entsprechend dem hektischer werdenden
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