Wo Tiger zu Hause sind
noch einmal nach, bevor er sein eigenes Glas füllte. Ohne zu wissen, wozu das gut sein sollte, fügte er hinzu: »Kein Grund zur Sorge. Es ist zwar verkehrt, aber so bin ich nun mal: Im Zweifelsfall stehe ich immer auf der Seite der Schmuggler, nicht auf der der Polizei.«
»Na, das wird ja immer besser! Jetzt bin ich schon eine Schmugglerin!«, lachte Loredana. In verändertem Tonfall und ohne dass erkennbar gewesen wäre, ob die Bemerkung sich auf das zuvor Gesagte bezog, meinte sie: »Sie haben einen guten Zug, ich muss schon sagen …«
Eléazard schürzte zweifelnd die Lippen.
»Vielleicht einen etwas zu guten. Wollten Sie das sagen? Sie müssen wissen, in Brasilien ist das Wasser gefährlicher als Wein, und da ich Coca-Cola grässlich finde … Aber ohne Scherz, trinken Sie bloß kein Wasser aus dem Hahn, auch gefiltert ist es noch voller Keime. Jeden Tag gibt es einen neuen Fall von Hepatitis.«
»Ich weiß, ich wurde auch schon gewarnt.«
Ein Blitz, gefolgt von einem gewaltigen Donner, ließ sie zusammenschrecken. Noch war das Echo nicht in der Ferne verhallt, da ergoss sich sturzbachartiger Regen in den Innenhof. Schwere, wuchtige Tropfen, die kraftvoll auf die lackglänzenden Blätter der Bananenstauden prasselten. Diese jähe Sintflut schuf eine Art intime Atmosphäre zwischen Eléazard und Loredana, einen beschirmten Raum voll Ruhe und Nähe, in dem sie sich beide wohl fühlten. An der Kerze perlten transparente Wachstropfen herab, die Mücken zerbrutzelten in der Flamme, deren warme Farbtöne dann sekundenlang heller wurden. In den kräftigen Geruch der feuchten Erde mischte die Mückenspirale ihren aufdringlichen Duft nach Kirche und Sandelholz.
Nach einigen Minuten, in denen sie den Regen still genossen hatten, meinte Loredana: »Eigentlich könnten wir uns duzen, oder? Ich habe genug vom Aufpassen.«
»Das wollte ich dir gerade auch vorschlagen«, nickte Eléazard lächelnd. Das »Sie« aufzugeben, was plötzlich größere Nähe unter ihnen schuf, genoss er fast physisch. »Dein Mückenmittel wirkt tatsächlich«, sagte er und fischte eine Mücke aus seinem Glas, »seit vorhin habe ich keinen einzigen Stich mehr bekommen. Aber es stinkt wirklich erbärmlich! Wahrscheinlich würde es sogar die Polizisten vertreiben …«
Loredana lachte los, aber ein wenig gezwungen; sie fühlte sich schuldig, weil Eléazard ihrer dämlichen Schmugglergeschichte so bereitwillig auf den Leim gegangen war. Und der Wein stiegt ihr allmählich zu Kopf.
»Und abgesehen von den Meldungen, die dich nicht gerade zu beschäftigen scheinen, was fängst du da mit deiner Zeit an?«
»Ich lebe, ich träume … ich schreibe. Letzthin sitze ich ziemlich viel vorm Computer.«
»Und was schreibst du?«
»Oh, nichts Aufregendes. Ich bin mit der Herausgabe eines Manuskripts aus dem 17 . Jahrhundert betraut worden, der Biographie eines Jesuiten, mit dem ich mich seit einer Reihe von Jahren beschäftige. Eher eine Recherchearbeit als ein Schreibprojekt.«
»Du bist gläubig?«, staunte Loredana.
»Nicht im Geringsten«, beruhigte Eléazard sie, »aber dieser Typ, den kein Mensch mehr kennt, war wirklich ein höchst kurioser Zeitgenosse. Eine Art Polyhistor, der über absolut alles schrieb, und angeblich immer und bei jeden Thema auf der Höhe des damaligen Wissens. Das war zu seiner Zeit zwar so üblich, aber was mich an ihm – einem Mann, der mit einem Leibniz, einem Galilei, einem Huygens verkehrte und seinerzeit viel berühmter war als sie – besonders fasziniert, ist, dass er sich fast durchweg geirrt hat. Er dachte sogar, es wäre ihm gelungen, die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern, und alle haben ihm das geglaubt, bis Champollion kam.«
»Du meinst tatsächlich Athanasius Kircher, was?«, unterbrach ihn Loredana sichtlich interessiert.
Eléazard spürte, wie sich sämtliche Härchen an seinem Körper aufrichteten:
»Das ist ja nicht die Möglichkeit … Das ist ja nicht die
Möglichkeit
!« Er sah sie verblüfft an. »Woher kennst du den denn?«
»Nun, ich habe dir längst nicht alles erzählt«, sagte Loredana geheimnisvoll und genoss ihren Vorteil. »Ich habe mehr als ein Eisen im Feuer.«
»Bitte …«, Eléazard blickte sie hündisch bettelnd an.
»Ganz einfach, ich bin Sinologin. Obwohl, nein: Sagen wir mal, ich habe Chinesisch studiert, lang ist es her, und ein paar Bücher gelesen, in denen Kircher wegen seiner Arbeiten über China erwähnt wurde.
Cazzo!
«, rief sie auf einmal, »
puta di
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