Wo Tiger zu Hause sind
in ihrem Gesicht, ihre schmutzigen, feuchten, verfilzten Haare und die unter ihren Augen sichtbare Erschöpfung machten sie nur noch schöner, noch begehrenswerter. Er beneidete Detlef, dass er diese Frau im Arm gehabt hatte, und er fragte sich, was sie an einem körperlich so unattraktiven Mann anziehend gefunden haben mochte.
Petersen schlief bereits oder tat so als ob.
Im letzten Tagesschimmer, der sich zwischen den Baumwipfeln hindurchstahl, ließ ein Schwarm vorbeistiebender Papageien den Raum über ihnen blutig schimmern.
Ein kleiner Junge war zu ihm gekommen, vom Walkman fasziniert. Mauro setzte ihm freundlich den Kopfhörer auf, worauf das Kind erst mit Angst, dann sehr schnell fröhlich reagierte. Der Vater kam dazu, forderte es offenbar auf, die Fremden nicht zu belästigen, doch dann war seine eigene Neugier stärker, und er wollte auch an der Entdeckung teilhaben. Kaum hatte er sich den Kopfhörer ungeschickt an die Ohren gehalten, da wurde er von Wut gepackt, warf den Hörer zu Boden und schlug dem Kind mit der Faust auf den Kopf. Entsetzt von der Heftigkeit des Ausbruchs, kauerte Mauro sich zusammen; der Indio drohte, ihn mit seinem Bogen zu schlagen wie mit einem Knüppel, und hätte das wohl auch getan, wenn der von seinem Geschrei alarmierte Schamane ihm nicht in den Arm gefallen wäre. Der Alte schien passende Worte zur Erklärung dieses Zauberwerks zu finden, denn der Indio beruhigte sich fast umgehend. Jetzt lief auch seine Frau herbei und beruhigte ihn vollends, indem sie ihm Hals und Schultern massierte, während er sich noch immer mit den Fingern in den Ohren polkte, um diese Stimmen wegzubekommen, die sein Gedächtnis weiter heimsuchten.
Irgendwann nachts wachte Elaine auf. Die Feuer glommen nur noch unmerklich, aber neben ihr schimmerte ein Halo kalten Lichts: Verschwommen, kaum zu erkennen unter dem phosphoreszierenden Schimmer, der von ihm ausging, leuchtete Detlefs Körper wie ein Spiegel in der Sonne!
Obwohl der Anblick wirkte wie ein unwahrscheinliches Traumgesicht, war er doch so real, dass Elaine die Hand nach der Helligkeit ausstreckte. Ein Gewimmel von Leuchtkäferchen stob von dem Leichnam auf und durchlöcherte die Dunkelheit wie mit Aberhunderten Glassplittern.
Aus Eléazards Notizen.
LOREDANA über Moreira: »Dessen Gesicht müsste eigentlich in der Hose stecken« – der reinste Tschuang-Tse!
KIRCHER verkehrte mit Poussin, Rubens, Bernini … Konnte denn jemand, den diese Ausnahmekünstler als ihren Freund oder gar Lehrer betrachteten, zutiefst borniert oder einfach nur mittelmäßig sein?
NEWTON betrieb Alchimie, Kircher spekulierte über Sphärenmusik …
»MEIN ZIEL ist eine vollständige Rekonstruktion der Sammlung des Jesuiten Athanasius Kircher, der nicht nur Autor einer
Ars magna lucis et umbræ
( 1646 ) war, sondern auch Erfinder eines ›polydyptischen Theaters‹, in welchem fünf Dutzend Spiegelchen, die das Innere einer großen Schachtel auskleiden, einen Zweig in einen Wald verwandeln, einen Bleisoldaten in eine Armee und ein Büchlein in eine Bibliothek. (…) Darum hätte ich, wäre nicht meine Furcht, missverstanden zu werden, auch nichts dagegen, in meinem Hause jenes von Kircher projektierte ganz mit Spiegeln ausgekleidete Zimmer zu rekonstruieren, um mich darin kopfunten an der Decke spazieren und aus der Tiefe des Bodens auffliegen zu sehen.« (Italo Calvino,
Wenn ein Reisender in einer Winternacht
)
DASS ALLES IN UNSERER WELT darauf abzielt, das Reden möglichst zu unterbinden. Einsamkeit aller inmitten aller: Diskothek, Verlies unserer Nacht. Krampfartiges Gezappel als Alternative zur Verzweiflung. Die überall vorhandenen Spiegel erlauben jedem Einzelnen, allein vor sich selbst zu tanzen. Anonymes erotisches Paradieren, narzisstische Verführung des Spiegelbildes. Vier Stunden Herrlichkeit pro Woche, und der Rest ist nichts als ein aufgeschobener Selbstmord.
DREI ZEILEN aus dem 200 -seitigen Voynich-Manuskript:
» BSOOM . FZCO . FSO 9 . SOBS 9 . 8 OE 82 . 8 EO 8
OE . SC 9 .S 9 .Q 9 . SFSOR . ZCO . SCOR 9 . SOE 89
SO . ZO . SAM . ZAM . 8 AM . 4 O 8 AM .O. AR . AJ «
Welches Hirngespinst treibt einen Mann dazu, seinen Text derart zu verschlüsseln, dass er nur noch für ihn selbst lesbar ist? Die absolute Notwendigkeit des Geheimnisses. Was konnte der Grund sein, den Inhalt so gut zu schützen? Todesangst oder Angst vor Diebstahl. Im 15 . Jahrhundert gab es verschiedene Möglichkeiten, sein Leben zu riskieren,
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