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Wo Tiger zu Hause sind

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Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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das nur übersehen können!«
    Verwundert, ihn mit einmal so perplex zu sehen, wagte ich, ihn um Aufklärung zu bitten.
    »Ich dachte an die
Kunst
selbst, Caspar, & an die wunderbare Intuition ihres Schöpfers, jene
Ars magna
, die ›Große Kunst‹ des Raimundus Lullus, die es erlaubt, die Dinge selbst und die Vorstellung davon dank dreier göttlicher Instrumente zu verbinden: Synthese, Analyse & Analogie. Mit der Synthese kann ich die Vielfalt zur Einheit zusammenführen; mit der Analyse schreite ich von der Einheit zur Vielfalt; mit Hilfe der Analogie erkenne ich nicht nur die göttliche & metaphysische Ur-Einheit der Welt, sondern auch diejenige des Wissens, denn ich entdecke die wundersame Übereinstimmung der Kräfte & Eigenschaften, aus denen sie besteht! Die
Ars
des Raimundus ist jedoch unvollständig, & daher hat sich seine Entdeckung als unbrauchbar erwiesen … Ich aber behaupte, dass diese Kunst möglich ist! Seit langem schon habe ich die Prinzipien erkannt & nutze sie in der täglichen Praxis; dennoch gilt es – und das habe ich begriffen, als ich den Brief des betrauerten Ferdinand las –, endlich den Wissensdurst der weniger Bemittelten unter uns zu stillen & zugleich den Weiseren ein unfehlbares Mittel an die Hand zu geben, zur Wahrheit zu gelangen. Jeder vernunftbegabte Mensch, so behaupte ich, ist imstande, in kurzer Zeit eine wahrhaftige, wenn auch eher allgemeine Vision der Gesamtheit der Wissenschaften zu erlangen! Ich bin ein alter Mann, Caspar, doch werde ich die letzten Tage, die Gott mir noch geben mag, darauf verwenden, zu konstruieren, wovon noch nie jemand zu träumen wagte: eine Denkmaschine! Nämlich in der Ordnung der Begriffe das Äquivalent dieses Museums, welches meinen Namen trägt & ja nichts anderes ist als eine leibhaftige Enzyklopädie, eine sichtbare, man könnte sagen greifbare Grammatik der universellen Wirklichkeit!«
    Ich war stumm angesichts der ansteckenden Begeisterung meines Meisters & der glänzenden Aussichten, die damit einhergingen. Es drängte Kircher, die
Ars magna
des Raimundus Lullus zu vervollständigen, & so vertraute er mir die letzten Korrekturen an der
Arca Noë
und seinem an die Habsburger adressierten
Archetypon politicon
an, um sich ganz und gar diesem neuen Vorhaben widmen zu können. Es galt, die Gesamtheit des menschlichen Wissens mittels einer anhand der göttlichen Gebote errichteten Ordnung zu strukturieren & sodann die analogen Regeln sowie das Kombinationssystem aufzustellen, welche es einem jeden erlauben würden, sich dieses Systems selbst zu bedienen. Eine ungeheuer gewagte Aufgabe, deren sich jedoch mein Meister mit verblüffender Leichtigkeit entledigte, ohne je in seiner Entschlossenheit zu wanken.
    Zu Beginn des Jahres 1669 , als Athanasius die Seiten seiner künftigen
Ars magna sciendi
, der Großen Kunst des Wissens, zum Drucker bringen ließ, in der Reihenfolge, wie er sie fertigstellte, gab es eine ebenso widerwärtige wie schamlose Kontroverse. Pater Francesco Travigno, Kirchers Kollege & Freund aus Padua, sandte ihm zwei Schriften zu: einmal ein Buch von Valeriano Bonvicino, Physikprofessor an derselben Universität wie Pater Travigno, die andere eine Kopie eines von etlichen Mitgliedern der Londoner Royal Society unterschriebenen Pamphlets, dessen Verfasser niemand anderes war als – Salomon Blauenstein!
    In seiner
Lanx Peripatetica
, der »Peripatetischen Waagschale«, griff Bonvicino unverblümt das XI . Kapitel des
Mundus subterraneus
an, in dem Kircher, wie man sich erinnern wird, die alchimistische Physik ins Reich der Fabeln verweist, & behauptete, er selbst produziere seit langem in seinem Hause in Padua Gold. Salomon Blauenstein seinerseits, jener ausgepichte Schuft, der einst den allzu gutgläubigen Sinibaldus um ein Haar ruiniert hätte, richtete die nämliche Kritik gegen meinen Meister, allerdings mit einer beißenden Ironie & einem Ingrimm, unwürdig eines Mannes der Wissenschaft …
    So ungerecht sie auch waren, kränkten diese Angriffe Kircher zutiefst, & sein Zorn wollte sich mehrere Tage über nicht legen, bis die göttliche Gerechtigkeit seine Gegner strafte & zahlreiche Unterstützungsbriefe der berühmtesten Weisen ihn zu erreichen begannen.
    Unermüdlich fuhr er in seiner Arbeit fort, so dass schließlich seine
Ars magna sciendi
 & das
Archetypon politic
on zugleich im Herbst jenes Jahres erschienen & eine Welle der Bewunderung auslösten, welcher sich wohllöbliche Gelehrte aus ganz

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