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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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war eine Sache, die keine der Schwestern verstand. Er war für alle sichtbar, aber gleichzeitig Welten entfernt, in einem Whiskeynebel.
    »Er hat Töchter in die Welt gesetzt, und die war barbarisch. So viel, was seinen hochgepriesenen ›Rausch des Lebens‹ angeht. Pech für ihn, dass seine Macho-Philosophien damit unvereinbar waren. Erst zwang er uns, ihn von Kindesbeinen an auf die Jagd zu begleiten, und dann nahm er uns nie wieder in die Berge mit. Aus und vorbei.«
    »Es war nicht vorbei. Er war krank. Krank vor Kummer – so sehe ich das zumindest.«
    »Du bist verständnisvoller als ich«, sagte Caroline.
    »Bitterkeit führt zu nichts.« Clea legte ihre Hand auf die ihrer Schwester. Caroline ließ es zu. Niemand außer Clea hätte es gewagt, so mit ihr zu reden. Vielleicht lag es daran, dass sie nicht dabei gewesen war, als Andrew starb. Clea war weicher, vertrauensvoller, weniger argwöhnisch als ihre Schwestern. Sie hatte nicht im gleichen Maß wie Caroline und Skye gelitten.
    »Er wollte in deiner Nähe sein, Caroline. Deshalb kam er so oft in den Gasthof.«
    »Er kam, um zu trinken!« Caroline drängte die Tränen zurück.
    »Was ist los mit dir? Das klingt ja furchtbar!«
    »Findest du, dass ich unnahbar bin? Dass ich keine Nähe zulassen kann?«
    »So würde ich das nicht formulieren«, antwortete Clea, auf der Hut angesichts der Dringlichkeit in Carolines Ton.
    »Wie denn?«
    »Du bist ungeheuer … tüchtig. Das ist der Grund. Du hast alles voll im Griff, sodass die Leute meinen, du wärst wunschlos glücklich und würdest niemanden brauchen.«
    »Das ist ein kolossaler Irrtum!« Verärgert zerknüllte Caroline ein Blatt Papier und fing noch mal von vorne an. »Ich wünsche mir vieles, unter anderem, dass sich Skye wieder fängt.«
    Clea kannte die Widersprüchlichkeit ihrer Schwester. Selbst wenn sie wütend war, gelang es ihr nicht, ihre Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Caroline übertrug wieder einmal ihre eigenen Gefühle auf die Menschen, die sie liebte.
    »Es tut mit Leid«, sagte Caroline. »Aber wenn du Skye gehört hättest, wüsstest du, was ich meine. Sie ist in denkbar schlechter Verfassung. Du kennst ja unsere Familiensaga von der Kunst und dem Alkohol, die angeblich untrennbar miteinander verbunden sind. Bei Skye und Dad. Was für eine Lüge!«
    »Vielleicht habe ich deshalb einen Pfarrer geheiratet.« Clea lächelte. »Endlich einmal ein Mann, dem ich trauen kann.« In dem Moment, als sie die scherzhaften Worte aussprach, wusste sie, dass sie ernst gemeint waren. Sie hätte nie einen Mann von der Sorte lieben können, die Notlügen für entschuldbar hielten, die meinten, gegen einen Seitensprung sei nichts einzuwenden, solange er diskret erfolgte und unentdeckt blieb, oder die sich zu Tode tranken und sich selbst und ihrer Familie etwas vormachten.
    Caroline richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Rechenmaschine und den Stapel Quittungen. Clea sah zu, wie sie die Rechnungen durchblätterte und ihre Finger über die Tasten huschten. Das ist Caroline, wie sie leibt und lebt, dachte sie, Caroline, die Tüchtige. Clea kannte sämtliche Versuche ihrer Schwester, dem allen zu entfliehen, und dieses Ablenkungsmanöver war eines der wirksamsten.
    »War es schön gestern Abend?«
    »Wie bitte?« Carolines Finger hielten mitten im Tippen inne.
    »Gestern Abend. Ob es schön war.« Als Caroline stumm blieb, fuhr sie fort: »Du warst doch auf der
Meteor,
oder?«
    »Ja.« Caroline schloss kurz die Augen, dann platzte es aus ihr heraus: »Du hättest ihn hören sollen! Er ist genauso verrückt wie Skye. Oder noch verrückter. Man könnte meinen, ich sei Schuld an der verkorksten Kindheit aller Menschen von hier bis Boston!«
    »Nicht an meiner!«
    »Er wollte von mir eine genaue Schilderung der Geschehnisse an dem Abend, als sein Vater starb. Es war grässlich.«
    »Das kann ich mir vorstellen.«
    »Er hat mich regelrecht ins Kreuzverhör genommen. Ich habe ihm erzählt, woran ich mich noch erinnern kann, und danach spielte er den Überlegenen und meinte, ich hätte keine Ahnung, was er durchgemacht habe. Aber wahrscheinlich tat es ihm hinterher Leid. Ja, so wird es wohl gewesen sein, weil er mich packte – so grob, dass meine Schulter schmerzte – und mich küsste.«
    »Er hat dich geküsst?«
    Caroline nickte bedrückt. Sie musterte ihre Hände. Clea hielt sich zurück und schwieg aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Caroline hatte noch nie so impulsiv auf einen Mann reagiert. Sie war immer

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