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Wo Träume im Wind verwehen

Wo Träume im Wind verwehen

Titel: Wo Träume im Wind verwehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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verrosteten Kahn Buckelwale aufzuspüren, besteht die so genannte moderne Elektronik aus einem Radargerät und dem ältesten GPS -System, das es gibt. Alles Schrott, Joe.« Sam lud die Tiefenmessungskarten herunter und sah fasziniert zu, wie die Grafiken in Windeseile wechselten. »Meine Güte, so schnell kann kein Mensch schauen.«
    Joe lächelte, dann trank er einen großen Schluck Kaffee. Er hatte seinen Bruder seit Monaten nicht mehr gesehen, und alles, was Sam interessierte, war die neueste Technologie an Bord! Joe fühlte sich unbehaglich angesichts der offenkundigen Verehrung, mit der Sam zu ihm aufsah. Der Junge hatte sich eine kurze Verschnaufpause von seinem aktuellen Forschungsprojekt gegönnt. Er war von Nova Scotia hergeflogen, um Vorstellungsgespräche an verschiedenen Universitäten im Umkreis zu führen und den Rest seines Urlaubs an Bord von Joes Schiff zu verbringen. Eine Anhänglichkeit, die Joe lästig fand, aber gleichzeitig auch freute, wenn er ehrlich war.
    »Und, wie läuft’s da unten? Machst du Fortschritte auf dem Wrack?«
    »Ja, aber nur langsam. Ich hatte vergessen, wie trüb das Wasser vor der Küste von Neuengland ist, und kalt und voller Planktonpartikel. Das erschwert die Arbeit.«
    »Seltsam, wenn man bedenkt, dass du ein waschechter Neuengländer bist.«
    »Das war einmal«, erwiderte Joe.
    Sam lachte. »Mag sein, aber man merkt dir deine Herkunft noch an. Raue Schale und grimmig. Wenn du gerne einer von diesen Leisetretern aus Florida wärst, die Fett ansetzen, weil sie den ganzen Tag am Strand herumlungern und ihre Angeln vor den Keys auswerfen, vergiss es! Einmal Brummbär, immer Brummbär.«
    »Brummbär. Aha.« Joe bemühte sich streng zu klingen. Niemand durchschaute ihn so wie Sam, und niemand hätte sich solche Frechheiten herausnehmen dürfen. Joe tat sein Bestes, die Barriere aufrechtzuerhalten, die zu errichten einem älteren Bruder zustand, und Sam tat sein Bestes, sie niederzureißen.
    »Denkt Caroline genauso?«, erkundigte sich Sam lachend.
    »Caroline?«
    »Ja. Ich war ziemlich überrascht, dich mit ihr zu sehen. Ich meine, sie ist schließlich eine Renwick, und ich weiß, wie du über ihren alten Herrn denkst …«
    »Da war noch eine Sache, die geklärt werden musste.« Joe presste die Lippen zusammen.
    »Ich fand sie nett. Früher zu Hause, als ich noch ein Kind war, entnahm ich deinen und Moms Worten, alle Renwicks seien eine Ausgeburt des Teufels. Geradezu gemeingefährlich.«
    »Sie ist nicht gemeingefährlich, sondern hat sich nur den falschen Vater ausgesucht.«
    »Was sagt das eigentlich über mich aus, wenn du andere nach ihrem Erzeuger beurteilst?« Joe beugte sich wieder über den Computer und wählte die Zoom-Funktion aus, um die Karte zu vergrößern und genauer zu studieren. Dann schlug er eine weitere Taste an, um sich die Temperatur der Wasseroberfläche anzeigen zu lassen. Sein Mund war trocken. Joe und sein Stiefvater waren nicht gut miteinander ausgekommen. Sam wusste das, und mit seiner Frage wies er ihn auf ein Problem hin, dem er sich lieber nicht stellen wollte.
    »Lassen wir das Thema«, erwiderte Joe ruhig.
    »Ich schneide es auch nur deshalb an, weil ich gestern Abend den Eindruck hatte, zum falschen Zeitpunkt aufgetaucht zu sein. Schien so, als hätte ich euch bei etwas Wichtigem gestört.«
    »Ich sagte bereits, wir hatten uns ausgesprochen. Was ist, willst du dich nicht langsam anziehen?«
    »Ich bin angezogen«, sagte Sam verdutzt; er trug Shorts und ein T-Shirt mit dem Aufdruck WHOI , einem Kürzel für das Ozeanographische Institut in Woods Hole. Seine Augen hinter den Brillengläsern waren groß und wirkten noch verschlafen.
    »Zieh den Tauchanzug an. Ich nehme dich mit zum Wrack, dann kannst du dir selbst ein Bild von unserer Arbeit machen.«
    »Prima!« Sam ließ seinen Kaffeebecher auf dem Kartentisch stehen und stolperte über einen Ersatzscheinwerfer, der darauf wartete, installiert zu werden. Kopfschüttelnd nahm Joe die Becher und ging in die Bordküche hinunter. Sam glich einem tollpatschigen jungen Hund, dem seine Pfoten noch ein paar Nummern zu groß waren. Aber er hatte einen messerscharfen Blick. Er durchschaute Joe wie kein anderer.
    Während Joe den Hauptsalon durchquerte, dachte er an den gestrigen Abend. Er hatte Caroline Renwick geküsst. Genau an dieser Stelle. Ein Hauch ihres Parfums lag noch in der Luft. Das Schiff roch nach Salz, Dieselöl, Kaffee und Fisch, doch der Duft von Jasmin ließ Joe einen Moment lang

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