Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York
die Metallplatten, die auf den Kellereinstiegsluken der Geschäfte auf der 7 th Avenue liegen. Ich liebe das leise Scheppern, es klingt nach New York. Im Winter laufe ich in Manhattan oft ganz dicht an den Schächten vorbei, aus denen weißer Dampf steigt, weil es mir das perfekte New Yorker Bild zu sein scheint. Ich stelle mir dann vor, mich selbst in dieser neuen, beeindruckenden Landschaft zu sehen, von der ich als Kind immer nur geträumt habe. Es ist, als betrete ich ein Gemälde. Als Junge habe ich die Rückseite der Amiga-Platte von
Double Fantasy
angeschaut und mir vorgestellt, dass ich dort hinten in der Ecke auftauche in der Upper West Side, ein kleiner schwarz-weißer Fleck, der langsam größer wird, bis er irgendwann an John und Yoko vorbeiläuft. Jetzt bin ich da und kann es manchmal selbst nicht glauben. Ein unsichtbarer Kameramann filmt mich, wie ich nachts mit dem Taxi aus dem Büro in Midtown die leere Fifth Avenue hinuntergleite, wie ich zu Weihnachten mit dem Fahrrad über die Brooklyn Bridge reite oder am Times Square mit meiner Frau in allerletzter Minute aus einem
Lincoln Town Car
springe und in eines der Broadway-Theater renne. Und jetzt sieht mich die Kamera in Brooklyn, einen Fuß auf die Metallplatte eines arabischen Feinkostladens setzend, an der Hand meine kleine Tochter. Es sind Momente, in denen ich mich in dieser wundervollen Stadt wie in einer Schaufensterscheibe beobachte.
Vor ein paar Wochen habe ich an so einem wundervollen Morgen einen Zettel unter der Windschutzscheibe meines Autos gefunden, auf dem sich jemand über unsere
fucking
Alarmanlage beschwerte, die anspringt, wenn man zu dicht am Auto entlangfährt. »Bring das Stück Scheiße in Ordnung oder ich kümmere mich selbst darum, du Verlierer!«, stand da.
Ich habe die Alarmanlage ausgebaut.
Vor dem Bäcker treffen wir Seily. Sie wohnt auf der anderen Seite unseres Backyards. Sie hat einen Husky, vier Kinder und die weitaufgerissenen Augen einer amerikanischen Mutter. Damit sieht sie allerdings nur meine Tochter an. Es passiert mir hier oft, dass Leute auf der Straße nicht mit mir, sondern mit dem dreijährigen Mädchen reden, das meine Hand hält. Sie setzen nur noch auf die Kinder, denke ich. Eltern sind so was wie die Batterien in der Matrixwelt. Und so kleiden sich die meisten auch, wie Untote. Ihre Sachen baumeln farblos und kraftlos an ihren wegsackenden Körpern. Die Frauen tragen die Haare lang und grau und schminken sich nicht, wenn sie aus dem Haus gehen, die Männer tragen verbeulte Sweatshirts und steigen sofort in unvorteilhafte Shorts, wenn es Frühling wird. Sie haben ihren Job getan, könnte das bedeuten, sie müssen nicht mehr gut aussehen, nur noch die Jungen füttern. Seily fragt meine Tochter, wie die Ferien waren. Ich bin unsichtbar, ein großer weißer Hase.
Mascha erzählt Seily, dass wir schnell nach Hause müssten, weil
Clifford
im Fernsehen laufe.
Clifford, the big red dog
. Das sei ihre Lieblingssendung und auch meine. »My daddy loves Clifford«, sagt meine Tochter. Seilys Augen streifen mich nun doch kurz, spöttisch. Ich zucke mit den Schultern. Clifford ist ein riesiger roter Trickfilmhund, der immer alles richtig macht und mir mit seinen moralischen Ratschlägen unfassbar auf die Nerven geht. Eine Art Rolf Zuckowski als Hund. Ich hasse ihn, aber weil meine Tochter ihn liebt und ich sie und weil ich so selten da bin, habe ich ihr in einer Minute der Schwäche gesagt, dass Clifford natürlich auch mein Lieblingshund ist.
»Have fun«, sagt Seily, und da ist kein Spott mehr. Ich bin wieder eine Batterie in einer Kinderwelt.
A ls ich zum zweiten Mal an diesem Morgen die Treppe unseres Hauses herunterkomme, sitzt Mascha vor dem Fernseher und sieht Clifford, the big red dog , eine amerikanische Zeichentrickserie über einen roten Hund, der in einer Familie lebt und viel Unsinn anstellt. Mein Mann behauptet immer, es sei die Lieblingsserie unserer Tochter. Aber ich glaube, er will früh nur in Ruhe Zeitung lesen. Und er kann nicht Nein sagen, wenn unsere kleine Tochter mit ihren roten Locken ihn um etwas bittet. Er ist ziemlich inkonsequent, was ihre Erziehung anbelangt, aber ich sage nichts, er ist ja gerade erst wieder gekommen.
Er ist New-York-Korrespondent für den Spiegel , aber trotzdem ständig in der ganzen Welt unterwegs. Diesmal ist er nach unserem Urlaub in Deutschland geblieben, um Gregor Gysi zu begleiten, den PDS-Politiker. Das hat zwar nichts mit New York zu tun,
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