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Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York

Titel: Wo Warst Du - Ein Septembertag in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Reich
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gibt noch Stuck an den Decken, Kamine und Waschbecken aus Marmor zwischen den Schlafzimmern. Die schönen alten Details kommen jedoch kaum zur Wirkung. Das Souterrain ist ein dunkler Raum mit flachen Decken. Die Küche ist hier, der Esstisch und der Gartenzugang, es gibt selten Grund, in die hellen und hohen Räume der oberen Stockwerke zu steigen. Sie verwaisen. Dabei ist die erste Etage traumhaft schön. Ein riesiger Raum mit honigfarbenem Parkett, einem gewaltigen Kamin und viereinhalb Meter hohen Decken, den keiner mehr nutzt, seit Gails Mann, Liz' Vater, gestorben ist. Hier ist seine Bibliothek, die alten, in Leder gebundenen Ausgaben von Joyce, Faulkner, Austen, die Bände von Thomas Mann, Stendal, Proust und Balzac, die schmalen Bücher von Whitman, Shakespeare und Frost stapeln sich bis unter die Decke, alle mit leichtem Staub bedeckt. Die Familie benutzt die Beletage als Durchgangszimmer. Liz hat mit ihren Kindern und ihrem Mann John im dritten Stock gelebt, ihre Mutter im vierten, wo die Räume wieder kleiner werden und flacher. Vor einem halben Jahr sind die Jüngeren ausgezogen, weil Liz das Gefühl hatte, sich lösen zu müssen von ihrer dominanten Mutter und den Hinterlassenschaften ihres Vaters.
    Ihre Eltern haben das Haus 1969 gekauft, für 6500 Dollar, das war seinerzeit der höchste Preis, der jemals für ein Haus in der Carroll Street bezahlt wurde, sagt Gail. Liz wuchs in der Carroll Street auf, als sie noch nicht so angesagt und so teuer war, als die Leute noch ihren Müll in den Backyards vergruben, ihre Wäsche dort aufhängten und es noch keine Backyard -Philosophie gab. Sie muss eine traumhafte Kindheit gehabt haben, in dem großen Haus in Brooklyn und dem Sommerhaus in Kanada, aber sie wirkt selten glücklich hier. Ihre Eltern schickten sie auf Saint Ann's, eine Privatschule in Brooklyn Heights, in der es keine Zensuren gab und die Lehrer mit den Schülern zusammen einen Joint rauchten, um die Kreativität wachzuküssen und vielleicht auch andere Dinge. Ich weiß nicht, was genau damals passiert ist, ich weiß nur, dass Liz kurz vor ihrem Abschluss abgehauen ist und nächtelang im Central Park zwischen Pennern geschlafen hat, und dass sie die Schule hasst und allen Eltern davon abrät, ihre Kinder dorthin zu schicken, obwohl Saint Ann's mittlerweile als beste Schule der Stadt gilt. Die Schulzeit muss irgendwas mit Liz' dunkler Seite zu tun haben, mit ihrer Angst.
    John reicht mir ein Glas, wir stoßen an. »Schön, dich bei uns zu haben«, sagt Liz' Mutter und umarmt mich.
    Ich setze mich zu John an den Tisch und nehme Mascha auf den Schoß.
    John schließt die Videokamera an und zeigt das Video, das sie heute Morgen auf dem Dach gedreht haben. Das Bild wackelt, und man sieht nur Dächer und andere Leute mit Videokameras auf den Dächern und ganz weit hinten auch ein bisschen Rauch.
    Ferdinand und Mascha in der Carroll Street.
    »Den Kollaps der Türme haben wir leider verpasst«, sagt Gail aus der Küche.
    »Da waren wir schon wieder unten«, ergänzt Liz. Sie scheinen nicht besonders erschüttert zu sein.
    »Wann kommt Alex?«, fragt Gail.
    »Daddy«, ruft Mascha.
    »Er muss gleich kommen«, sage ich und denke daran, dass es merkwürdig sein wird, ihn hier vor allen zu begrüßen. Vielleicht sollte ich lieber rübergehen und auf ihn warten. Eine gute Ehefrau würde das machen, denke ich und dann überlege ich, dass ich heute schon genug gute Ehefrau gewesen bin, und nippe an meinem Drink.
     
     
     
    K
ate steht in ihrem Vorgarten, als warte sie auf irgendjemanden. Es ist seltsam, ausgerechnet Kate hier wiederzutreffen, die einzige Nachbarin, die ich heute früh schon sah. In einer anderen Zeit. Sie ist nicht nach Manhattan gefahren. Sie ist zur 4 th Avenue gelaufen und hat noch zehn Minuten auf eine Subway gewartet, sagt sie, aber es fuhren schon keine Züge mehr, und irgendwann ist sie mit den anderen nach oben gegangen und dann nach Hause. Sie hat ihren Mann Terry geweckt, dann haben sie ferngesehen. Irgendwann konnten sie nicht mehr und gingen mit ihrer Tochter Maeve in den Park. Maeve hat später mit Kreide eine Zeichnung auf den Bürgersteig gemalt, weil Terry wollte, dass seine Tochter ihre Gefühle rauslässt. Es ist ein Hochhaus, aus dem Leute springen, und weil das so nicht bleiben konnte, hat Maeve noch ein Kreuz darübergemalt, wie auf einem Verbotsschild.
    »Und du?«, fragt Kate, und während ich erzähle, entdeckt sie den Staub auf meinen Schuhen. Es ist eindeutig weißer

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