Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
Die Frage, die nach seinem Schweigen und seinem geduldigen Zuhören kam, lief für uns beide unausweichlich auf diesen Punkt hinaus.
»Und die Mädchen? … Was hast du von denen gehört? …«
Ich wollte zuerst über Şebnem sprechen. In Kürze sagte ich, was ich wußte. Er war sehr betroffen. Ich konnte seine Betroffenheit unmöglich überhören, als er sein Gefühl in Worte faßte.
»Ah, meine kleine Şebnem … Und dabei war sie doch der tragende Stützpfeiler unseres Spiels …«
Genau so war es. Sie war unsere Hauptdarstellerin. In jeder Hinsicht unsere Hauptheldin … Ich sagte, was mir aus der Seele kam, woran ich zutiefst glaubte, glauben wollte.
»Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren … Haben wir nicht auf diese Weise durchgehalten, Yorgos? … Vielleicht kannst du ihr ja auch behilflich sein, was meinst du?…«
Ich schwieg … Wir schwiegen beide. Ich konnte diese Erzählung nicht mehr weiterführen, jedenfalls wegen des Augenblicks, der nun kommen mußte, um des Zaubers jenes Augenblicks willen. Ich hatte ihn nur bis jetzt warten lassen können.
»Auch Şeli soll in Izmir sein. Das habe ich von Çela erfahren. Von meiner Frau …«
Wieder schwieg er eine Weile. Er stellte keine Frage. Er hatte wohl nicht den Mut dazu oder fand es unnötig. Doch er drückte sein Gefühl zu dem von mir geschilderten Bild aus. Konnte man wohl in diesem Gefühl die Spuren eines Ausweichens suchen? … Wahrscheinlich. Ich wußte, was er fühlte und mir mitzuteilen versuchte, war echt, und zwar sehr echt, in aller Schlichtheit und Reinheit.
»Wir sind in alle Winde zerstreut … Schau mal einer an …«
Ich zweifelte nicht, daß wir denselben Kummer teilten. Dadurch konnte ich womöglich die Unsicherheit aufheben, die durch mein erneutes Fragen entstand.
»So ist es … Was sagst du nun? …«
Ich hörte aus seiner Stimme wieder Ratlosigkeit. Jene Bilder zogen auch vor meinen Augen vorüber.
»Ich weiß nicht … Ich bin verwirrt … Ich muß ein bißchen nachdenken …«
Auf diese Worte hin konnte ich nur eins sagen. Nur eins … Um sowohl ihn als auch mich noch einmal von der Richtigkeit dessen, was wir erleben würden zu überzeugen …
»Freilich, denk nur nach … Doch du mußt bei diesem Spiel dabeisein, Yorgos, du mußt bei dem Spiel dabeisein, hörst du? … Wenn du willst, ›mailen‹ wir uns, wir schreiben einander und diskutieren die Lage noch genauer.«
Dieses Mal spürte ich sein Lächeln sehr deutlich. In seiner Stimme lag auch eine kindliche Verlegenheit, die seinem Lächeln eine besondere Färbung gab.
»Ich schreibe selten Mails. Ich mag das nicht, hab mich nicht daran gewöhnen können.«
In diesem Moment hatte ich ihn plötzlich noch viel lieber. Doch ich war von einem schriftlichen Gedankenaustausch derart besessen, daß mir leicht eine andere Lösung einfiel.
»Gut … Dann können wir auch auf die herkömmliche Weise Briefe wechseln. Das paßt tatsächlich besser zu uns … Wir haben ja auch keine Eile …«
Hatten wir wirklich keine Eile? … Darüber wollte ich in dem Moment nicht weiter nachdenken. Es war mir aber nun mal so rausgerutscht. Warum, das war nicht wichtig. Es war mir rausgerutscht, und nun gab es kein Zurück. Zudem reichte seine Antwort, mir Hoffnung zu machen.
»Siehst du, das geht … Ich werde dir einen Brief schreiben. Ich werde dir erzählen, was ich erlebt habe. Inzwischen denke ich auch nach.«
Ich sagte, ich würde seinen Brief ungeduldig erwarten und gab ihm meine Adresse. Auch ich konnte ihm schreiben. Zumindest hatten wir uns in einem wichtigen Punkt verständigt. Ich spürte, die Tür hatte sich nicht geschlossen. Vielleicht konnte ich mich durch den offengelassenen Spalt zwängen. Ich mußte auf jener Schwelle bleiben. Für mich war heute abend die Grenze des Gesprächs erreicht. Diese Grenze mußte ich ihm zu verstehen geben.
»Wenn das so ist, dann legen wir jetzt auf. Ich werde dich wieder anrufen. Ruf du auch an …«
Er sagte, er würde jederzeit gerne anrufen. Insofern war ich geneigt zu glauben, daß auch er spürte, daß die Brücke erneut gebaut worden war. Er schrieb sich meine Telefonnummern auf. Ehe er auflegte, stellte er eine Frage, die für ihn vielleicht zu den dringlichsten gehörte. Dieselbe Frage hatte auch Necmi gestellt. Ich konnte nicht entscheiden, ob die Frage aus unseren Ängsten kam oder aus der Wärme unserer Freundschaft.
»Isi, warum tust du das? …«
Ich wußte die Antwort. Nur konnte ich sie nicht in einem
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