Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
nicht klappte, gab es einen anderen Ort, sagte ich mir, um mir Mut zu machen. Doch es gelang mir, schließlich ist es mir gelungen, hierbleiben zu können. Zuerst machte ich einen kleinen Laden auf, dann einen großen. Mein Schwiegervater hat uns dankenswerterweise geholfen. Er hat hier eine Menge Möglichkeiten, Beziehungen, geschäftliche Verbindungen. Außerdem ist er bei der PASOK eine der ersten, einflußreichsten Persönlichkeiten. Es heißt, er könne sogar Abgeordneter werden, doch er will nicht so recht. Warten wir mal ab. Du wirst sagen, wir hätten unseren Wanderstock an einem sicheren Platz abgestellt. Eigentlich stimmt das irgendwie. Doch Du weißt, ich habe viele Gründe, mich auf Orte nicht völlig zu verlassen. Es reicht, wenn der Stock stabil ist. Alles andere ist mir egal …
Die Dinge liefen gut. Doch lange konnten wir keine Kinder bekommen. Ich meinerseits wollte immer eine Familie haben. Eine Familie, die ich unter keinen Umständen verlassen würde … Schließlich schenkte uns das Leben auch diese Freude. Zuerst wurde Maria geboren. Das ist der Name meiner Mutter, ich weiß nicht, ob ich es Dir gesagt habe … Dann kam Nikos. Jetzt werden sie langsam groß.
Das Leben nahm weiter seinen Lauf, und ich begab mich auf eine neue Suche. Ich begann, wieder Gedichte zu schreiben. Mal auf griechisch, mal auf französisch, mal auch auf türkisch … Wie es gerade paßte. Ich habe einen Kreis von Künstlern um mich geschart. Ich habe Stücke geschrieben. Zwei meiner Stücke kamen in Athen auf die Bühne, eins in Saloniki. Bei den Inszenierungen in Athen habe ich selbst Regie geführt. Gerade arbeite ich wieder an einem Stück. Wenn ich Glück habe, kann ich wieder Regie führen. In einigen Jahren möchte ich mich ganz dieser Arbeit widmen. Ich weiß nicht, wie es den anderen geht, doch wie Du siehst, habe ich mich nicht vom Theater getrennt. Und das ist gut so. Das wäre mir wahrscheinlich in Istanbul nicht gelungen. Wir sind vertrieben worden und gegangen, doch nun haben wir trotzdem etwas erreicht.
Ich wünschte sehr, meine Stücke könnten auch dort aufgeführt werden. Doch sie beinhalten teilweise Politisches, das sich auf unsere Erlebnisse bezieht. Ich glaube, dafür ist die Türkei nicht bereit, sie hat sich mit der Geschichte bisher nicht auseinandergesetzt. Irre ich mich? … Vielleicht eines Tages, aber wahrscheinlich jetzt noch nicht. Es macht mich traurig, daß ich so denke. Glaub mir, es macht mich traurig. Denn ich habe trotz allem einen Teil von mir dort gelassen, wie ich bei jeder Gelegenheit den Leuten hier sage und wie ich Dir auch gesagt habe. Einen für mich wertvollen Teil, von dem ich weiß, Du kennst ihn sehr gut …
Ich habe nicht gewußt, daß Şeli in Izmir lebt. Da hätte ich ihr also bei meinen Reisen dorthin zufällig auf der Straße begegnen können. Genau wie in Filmen, Romanen … Leider verläuft das Leben ganz anders als in Filmen und Romanen. Unsere Wirklichkeit ist viel banaler. Aber unsere Liebe war eine echte Liebe, nicht wahr? … Eine Liebe, wie sie sein soll … Hätte Şeli nicht kapituliert, hätte ich wahrscheinlich ein ganz anderes Leben gehabt. Schau mal einer an … Wie sind wir hierhergeraten. Manchmal kann ich nicht entscheiden, ob ich ihr danken soll oder böse sein. So ist das Leben nun mal. Was es gibt, das nimmt man.
Ich habe mich immer noch nicht entscheiden können, ob ich nach Istanbul kommen soll oder nicht. Ich brauche noch etwas Zeit. Aber ich möchte wahrscheinlich trotz allem endlich kommen und die Mauer in meinem Inneren einreißen. Ist es wohl Zeit, sag? … In der Hoffnung, Dir wieder zu begegnen
Yorgos
Dieser Brief von Yorgos führte mich in weite Fernen. Viele alte Bilder von Yorgos' Abschied lebten in meinem Geist wieder auf … Ich schaute aufs neue in die Vergangenheit, auf das, was ich irgendwo gelassen hatte. Jene Liebe war bestimmt eine echte gewesen. Das hätte ich sagen können, ohne zu lesen, was Yorgos geschrieben hatte. In dem Moment mochte ich gerne glauben, daß auch Şeli sich ab und zu an ihre Erlebnisse in jenen Tagen erinnerte und sie an einem ganz besonderen Platz aufbewahrte. Wie oft in seinem Leben kann sich der Mensch so verlieben, kann er um der Liebe willen solche Schmerzen ertragen? … Einmal? Zweimal? … Was ich erlebt hatte, was das Leben mich gelehrt hatte, erschwerte es mir, diese Zahl zu erhöhen. Vielleicht hatte ich nur soviel erleben, erfahren können. Eine solche Bedeutung hatte die Liebe für
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