Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
eigentlich andere Pläne, Träume. So eine lange Reise durch Südamerika. Wie Genosse Ernesto! … Das muß ich jetzt auf ein andermal verschieben. Aber ich werde das machen … Unter den Umständen muß dieser Traum für eine Weile aufgeschoben werden. Nicht so schlimm. So etwas kann jedem passieren. Vielleicht kann ich den alten Leutchen in letzter Minute eine kleine Freude machen. Vielleicht erleichtert das mein Gewissen, vielleicht finde ich etwas mehr zum Frieden mit mir selbst. Denn ich habe immer gedacht, indem ich hierher übergesiedelt bin, habe ich ihnen einen Teil von mir für immer weggerissen … Vielleicht sind diese Gründe aber nur Vorwände für meine Rückkehr nach Istanbul. Ich werde doch wohl nicht Heimweh haben? … Wer weiß, vielleicht sind anläßlich dieser Krankheit ein paar meiner Ängste erneut ausgebrochen … Sag, was Du willst, auf jeden Fall komme ich nun …
Du sagst, Du möchtest wissen, was ich hier mache. Ich habe im Grunde vieles erreicht, habe ein gutes Leben. Auch wenn ich nicht so reich geworden bin wie Du! … Doch glaub mir, ich beklage mich nicht. Zumal das Leben immer ein bißchen anders ausschaut, je nachdem wie man es nimmt und lebt … Ich habe mir zum Beispiel jeden Unsinn geleistet, wenn ich es wollte, und tue das auch weiterhin.
Außerdem habe ich den Beruf als Elektroingenieur ausüben können, und zwar indem ich jahrelang in einer staatlichen Firma gearbeitet habe. Am Anfang ist es mir sehr schwer gefallen. Was ich erlebt habe, war manchmal eine richtige Komödie. Natürlich erscheint es mir jetzt in der Erinnerung so. Mit der Zeit haben sich die Probleme gelöst, oder vielleicht habe ich mich an die Probleme gewöhnt, ich habe gelernt, auch mit den Problemen zu leben. Ich habe sowieso nie allzu großen Ehrgeiz in diesem Beruf verspürt. Wenn ich je einen Ehrgeiz verspürt habe, dann bei anderen Dingen, aber da bin ich mir auch nicht so sicher. Wenn diese nicht gewesen wären, würde ich heute vielleicht sagen, Mann, Isi, unser Leben war sinnlos.
Es stimmt freilich, daß das Lebensumfeld mir all das ermöglicht hat. Die beste Seite am Beamtendasein war, daß ich pünktlich Feierabend hatte und machen konnte, was ich wollte. Bald gehe ich in Pension. Dann habe ich mehr Zeit, mich meinen Nebentätigkeiten zu widmen, die mein Direktor und die meisten meiner Arbeitskollegen für unwichtig halten. Du bist wohl gespannt, was das für Nebentätigkeiten sind, nicht wahr? … Ich will mich im Moment auf eine knappe Information beschränken. Ich weiß nicht, was die anderen von unserer ›Truppe‹ gemacht haben, aber ich habe mich unter anderem ernsthaft mit Theater beschäftigt. Ich mache das noch immer. Und zwar auf hebräisch! … Wenn Du die Stücke kennen würdest … Ich habe sogar in Stücken von Shakespeare und Beckett gespielt. Wie Du siehst, habe ich mit dem Theater nicht gebrochen. Es gibt noch etwas. Also, wir bereiten jetzt ein Stück vor, darin habe ich eine Rolle, über die Du sehr erstaunt, aber auch gerührt sein wirst, und Du wirst sagen, wie seltsam doch das Leben ist … Um das miteinander zu besprechen, nehmen wir uns Zeit, wir beide ganz allein. Du kannst ruhig ein wenig gespannt sein und Dich fragen, was der Verrückte wohl wieder macht … Außerdem ist Dein Vorschlag klasse! … Ich bin dabei, Bruderherz! … Wir werden eine super Arbeit leisten. Insbesondere, wenn wir die Sache machen können, solange ich da bin, wird meine Rückkehr sehr gewichtig und imponierend sein, beim Himmel! … Kannst Du Dir das vorstellen? … Ich kehre nach Jahren in die Heimat zurück, um in dem Stück meiner Jugend wieder eine Rolle zu übernehmen … Oho! …
Außerdem habe ich schrecklich Sehnsucht nach allen. Ich bin so gespannt, wer wie wohin gegangen ist, was alle erlebt haben … Schau, wir machen es jetzt so … Voraussichtlich komme ich in zehn bis vierzehn Tagen an. Wie gesagt, eine Unterkunft habe ich. Gib mir Deine Telefonnummern, ich rufe Dich dann an. Wir treffen uns, wo es uns paßt. Natürlich nur, wenn ich den Weg finden kann. Wer weiß, was sich dort alles verändert hat. Wenn ich daran denke, bin ich einerseits aufgeregt, andererseits fürchte ich mich ein bißchen. Hoffentlich komme ich mir nicht in meiner Heimatstadt wie ein Tourist vor … Na, mal sehn. Alles Gute
Niso.
Diese ausführliche Antwort, die viel schneller als erwartet eingetroffen war, führte mich in Gedanken wieder irgendwohin. Das Erzählte zeigte, wie ein Leben in einem
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