Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
würden im Auto jene Chansons hören, die wir nicht vergessen hatten … Während ich mich ihr langsam näherte, hörte ich die Lieder noch einmal ab, um auch der geringsten Störung vorzubeugen. Jedes Chanson hatte andere Bilder. Es waren meine inneren Bilder, die die Chansons unsterblich machten … Und was war mit Şebnems Bildern? Höchstwahrscheinlich konnte ich nur den Abglanz davon sehen … Mehr konnte ich nicht wollen, in diesem Zeitabschnitt mußte ich mich mit diesem Vibrieren begnügen. Es erschien mir nun wie Schicksal, in ihrem Leben vorwärts zu schreiten, so weit zu gehen, wie ich gehen konnte. Denn ich war immer mehr davon überzeugt, auf diese Weise mich selbst besser sehen, finden zu können, leben zu können … Mit dieser Hoffnung durchschritt ich die Tür des Krankenhauses.
Als ich das Zimmer der Oberschwester betrat, erwartete mich ein überraschender Anblick. Şebnem sah völlig anders aus, sie war anders gekleidet als bisher. Sie trug ein kurzärmeliges Kleid, wahrscheinlich indische Batikarbeit, in dem helles Lila und Grün die vorherrschenden Farben waren, einen bordeauxfarbenen Schal und am Arm einen breiten Silberreif. Ihr Lippenstift und die Augenschminke wirkten in ihrem bräunlichen Gesicht wie eine Erinnerung an die alten Zeiten. Die Haare waren geschnitten und schwarz gefärbt. Es war das gleiche Schwarz wie vor vielen Jahren. Als hätte sie jemand aus einer anderen Zeit um einer anderen Zeit willen berührt. Wieweit war diese Berührung ihre eigene? … Woher kam dieses Kleid oder von wem, wo war es gewesen? … Auch Zafer Bey war da sowie die Oberschwester und zwei weitere Schwestern von der Station … Es war offensichtlich, alle hatten ihr möglichstes dafür getan, sie auf die neue Reise ›nach draußen‹ vorzubereiten … Das Ergebnis war einerseits traurig, andererseits sehr aufregend. Und zweifellos hatte sowohl die traurige Seite des Bildes mit mir zu tun wie auch die aufregende, glücklich machende. Wie seltsam war es doch, daß in manchen Situationen das Glücklichsein den Menschen traurig macht … Auch ich kannte ein solches Glück, aber ebenso wußte ich, wie echt und berechtigt so ein Glück war … In dieser Lage mußte ich nun der Frau, die mir dieses Gefühl gab, noch näher kommen. Ich ging zu ihr hin, setzte mich. Ich sagte ihr, sie sei sehr schön geworden. Sie sei eine faszinierende Frau geworden … Alle würden sie bewundern. Wir hatten eine neue Bühne betreten. Dieses Spiel hatte nur einige wenige kurze Wechselreden … Doch mit diesen Worten dankte ich auf indirekte Weise auch denen, die sie so attraktiv gemacht hatten. Ich nahm ihre Hand. Sie lächelte. Dieses Lächeln wirkte dieses Mal wie das von unseresgleichen, es glich einem Lächeln, das lieben und Hoffnung geben wollte. Daraufhin fragte ich sie, ob sie wisse, wohin wir gingen, und sie gab wieder, wortlos weiterlächelnd, mit dem Kopf ein Zeichen, das andeutete, sie wisse es sehr wohl. In dieser Reaktion und dem Lächeln konnte ich auch eine Unruhe erkennen, sowohl die Freude eines kleinen Mädchens als auch das Bemühen, sich in Ratlosigkeit und Schicksalsergebenheit ans Leben zu klammern … Anders ausgedrückt, ich konnte sie sehen, wie ich wollte … Diese Möglichkeiten erschwerten mir aber auch das Reden. Zafer Bey griff rechtzeitig ein.
»Seit Tagen schon bereitet sich Şebnem vor …«
Dann wandte er sich zu Şebnem.
»Heute abend werden alle bei dir sein …«
Alle? … Wenn man sich an ihre Vergangenheit erinnerte, lag dann in diesen Worten nicht ein Fehler? … Sie nickte wieder mit dem gleichen Lächeln. Wer weiß, was sie fühlte, was in ihr vorging? … Ich sagte, wir könnten gehen, und stand auf. Die Anwesenden erhoben sich ebenfalls, als hätten sie auf meine Bewegung gewartet. Um etwas besser auf die Fahrt vorzubereiten oder um meine Beklommenheit vor der Reise abzuschütteln, suchte ich erneut Zuflucht bei alltäglichen Redensarten. Schließlich gelang es bis zu einem gewissen Maße, manche Befürchtungen mit der Decke des Gewöhnlichen zuzudecken.
»Das Wetter ist wunderschön. Auf! … Laßt uns bis zum Auto gehen, das kann nicht schaden …«
Sie schaute. Mir schien, in ihren Augen war ein Abglanz jener schalkhaften Blicke, die sich von solchen Manövern nicht täuschen ließen … Wieder sprach sie, als fiele es ihr schwer.
»Ist deine Wohnung auch schön? …«
Hinter dieser Frage verbarg sich wer weiß was für ein Sinn. Doch was auch immer sich verbarg, dies war
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