Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
würden, wenn die Zeit gekommen war, auf andere Weise gestellt werden. Wenn wir in ein anderes Stadium dieses Lebensspiels gekommen sein würden … Wenn wir unsere anderen Wunden sowohl noch einmal aufreißen als auch verbinden wollten, soweit uns das möglich war …
An jenem Tag wollte ich in diesen Augenblicken nur meine Freude erleben. Ich rief Çela an und erzählte ihr aufgeregt, daß der Tag, an dem ich Şebnem nach Hause bringen würde, nun ganz nahe sei. Die Entwicklungen seien höchst vielversprechend. Natürlich konnte ich nicht sagen, daß ich noch nicht wisse, ob ich es wagen konnte, die Frau, die aus dem Schlaf erwacht war, die ich mit Einsatz meiner Persönlichkeit aufgeweckt hatte, in allem, was sie vorhatte, zu unterstützen. So wie ich schon von vielen anderen Gefühlen nicht hatte sprechen können …
Auch Necmi und Şeli hätte ich anrufen können, aber offen gesagt wollte ich verhindern, daß der Zauber des Erlebten sich verflüchtigte. Im letzten Moment konnte etwas dazwischenkommen. Man mußte warten, noch ein wenig geduldig sein …
Dann kamen jene Tage des gespannten Wartens, Tage, die in mir wieder unterschiedliche Gefühle auslösten. Ich sprach noch einmal mit Yorgos. Er sagte, er habe sich gründlich darauf vorbereitet, nach Istanbul zu kommen. Mit Niso zusammen aß ich einmal zu Mittag. Was ich dabei hörte, führte uns beide in eine der noch unerzählbaren, weitgehend unerzählbaren Finsternisse unserer Geschichte … Wir hatten unser Leben auf soviel Leiden aufgebaut, das noch nicht durchleuchtet war, das irgendwie nicht zu erforschen war … Ich sprach auch mit dem Krankenhaus. Es gab kein Problem. Dort wurde eine weitere Rückkehr nach Istanbul vorbereitet … Das letzte Gespräch fand zwei Tage vor der Einladung statt. Zafer Bey wollte, daß ich am Tag der Einladung frühzeitig kam. Wir wollten Şebnem gemeinsam darauf vorbereiten, nach so vielen Jahren nach draußen zu gehen …
Steine ins Meer werfen können
Dann kam jener Freitag. Im Grunde war dieser Tag einer der wichtigsten meines Lebens. Das war mir bewußt. Und auch, daß die Belohnung ihren Preis hatte … Selbst wenn ich noch nicht wußte, wen das Kommende uns allen, allen, die in diese Geschichte verwickelt waren, wie zeigen würde …
An jenem Freitag erwachte ich nicht bloß zu einem der wichtigsten Tage meines Lebens, sondern auch zu einer Hoffnung. Yorgos war seit ein paar Tagen in Istanbul. Wir waren uns noch nicht begegnet, doch ich wußte, er war mir schon sehr nahe. Er hatte angerufen und gesagt, er wolle eine Weile allein sein. Das war nicht allzuschwer zu verstehen. Ich hätte wahrscheinlich dasselbe getan, wenn ich endlich den Mut gefunden hätte, in die Stadt zurückzukehren, die ich jahrelang gemieden hatte. Es reichte, daß ich wußte, er kam, er war gekommen. Şeli würde am Morgen mit dem Flugzeug anreisen. Necmi hatte ich alle Entwicklungen in allen Einzelheiten erzählt. Er wollte mit ins Krankenhaus fahren, doch als er sah, wie ich mich der Sache angenommen hatte, verzichtete er darauf. Aber er wollte vor allen anderen zu mir nach Hause kommen. Ich hatte nichts dagegen. Schließlich war er es gewesen, der mich auf den Weg zu Şebnem geschickt hatte. Er war ja auch aus unserer ›Truppe‹ derjenige, der die arme Frau so wie ich mit ganz anderen Augen sehen konnte, und er stand mir am nächsten. Niso wohnte in jenen Tagen bei einem Verwandten in Şişli. Wie sehr ließen ihn wohl jene Gassen, die sich so tief in unsere Erinnerungen eingegraben hatten, seine Fremdheit erleben, wie sehr ließen sie ihn diese Fremdheit vergessen? … Es war an einem der Tage gewesen, an denen wir auf jenen Freitag warteten. Wir hatten in Elmadağ zu Mittag gegessen in einer Art Café-Restaurant. In einem Lokal, das es damals in der Jugend noch gar nicht gegeben hatte. Wir sprachen lange über Şebnem. Über den Sturm, der sie erfaßt hatte, das tiefe Loch, in das sie gefallen war, ihre Finsternis, in die ich einzutreten versucht hatte, über das, was wir auf dem Weg zurück erlebt hatten, wie sie sich an die Dialoge des ›Stücks‹ erinnert hatte … Ich sagte auch, was für eine gebeutelte Generation wir doch seien … Er war in Gedanken versunken. Wir schwiegen. Ich erwartete seine Antwort. Dann bekam ich seine Antwort. Was ich hörte, zog mich allerdings aufs neue in eine völlig unerwartete Finsternis. In dem Moment dachte ich erneut, daß wir unsere Leben über vielen schwärenden Wunden aufgebaut
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