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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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unverhüllter uns selbst zeigten. Jeder Augenblick ließ uns die Angst vor dem Ende erfahren oder das melancholische Gefühl, einen Schritt ein letztes Mal zu tun, doch vielleicht öffnete sich für uns alle ein wenig auch die Tür für neue, und zwar unerwartete Augenblicke und Begegnungen. Am Sonntag nach meinem Treffen mit Necmi machten wir weitere Erschütterungen durch. Ein jeder kam mit seiner eigenen Begeisterung an, mit seinen Erwartungen und dem, was er vorzeigen wollte. Doch zwischen den einzelnen gab es Unterschiede. Die Hausaufgaben, die Arbeiten am Text, hatten alle gemacht. Yorgos war noch weiter gegangen und hatte sogar ein kleines Regiekonzept entwickelt. Auch Şebnem hatte ihren Text mitgebracht mit ein paar Zeichnungen, die sie hineinskizziert hatte … Sicherlich wollte sie mit diesen Bildern ebenfalls etwas aussagen. Dieses Mal kam sie zusammen mit Necmi zu mir nach Hause. Das hatte ich erwartet, besser gesagt, wir hatten das am Tag zuvor so beschlossen. Necmi hatte abends angerufen und gesagt, gleich nach unserem Gespräch habe er sich mit Zafer Bey unterhalten. Er habe über seine Pläne gesprochen, sie hätten in allen Details darüber diskutiert. Zafer Bey hatte seine Gedanken mit Interesse und Sympathie aufgenommen. Die Situation schien keineswegs so hoffnungslos. Wir hatten vielmehr viele Gründe und die Worte des Arztes, um Hoffnung zu schöpfen. Zafer Bey hatte gesagt, Şebnem habe einen Riesenfortschritt gemacht. Es sei vielleicht nötig, ein wenig zu warten und geduldig zu sein, doch wenn keine Komplikationen auftauchten, könne er die Entlassung und den Gedanken an den Versuch eines neuen Lebens befürworten. Es sei sogar das Beste, da man schon mal so weit gekommen sei, wenn Şebnem ihr Leben in einem liebevollen Umfeld innerhalb der ›normalen Welt‹ verbrachte. Er könne veranlassen, daß sie nach einer Weile der Kommission vorgestellt würde. Die Kommission würde, auch unter Berücksichtigung seines Berichts, höchstwahrscheinlich eine positive Entscheidung fällen. Nachdem Necmi die Kommentare von Zafer Bey wiedergegeben hatte, hatte er gesagt, er werde Şebnem am nächsten Tag herbringen, natürlich wieder unter Aufsicht. Vor lauter Erstaunen hatte ich das Gehörte nicht kommentiert und nur sagen können: »Ist gut, ist in Ordnung.« Ich hatte natürlich verstanden, was ich wie weit auf welche Weise verstehen konnte, wollte. Ob ich es nun zugab oder nicht, meine Eifersucht flackerte noch einmal auf. Zu diesem Gefühl gesellte sich noch die Erschütterung meiner Autorität. Doch gleichzeitig war ich froh. Sowohl für ihn als auch für Şebnem … Schließlich kämpften beide auf ihre eigene Art ums Überleben. Und beiden war ich eng verbunden. Sie folgten auf dem Weg dieses Kampfes einem Licht, obwohl sie nicht wußten, wie weit sie einander berühren konnten … An jenem Sonntag trat ich ihnen mit einem derartigen Gefühl gegenüber. Şebnem wirkte, als sei sie noch mehr bei uns. Die Kommentare, die sie bei der Besprechung des Textes von sich gab, zeigten mir dies in all ihrer Naivität. Zwischendurch stürzte sie trotzdem in ihre große Leere ab. Doch manchmal sprach sie auch von dem, was wir früher erlebt hatten, und zwar mit Details, die wir längst vergessen hatten, was uns alle erstaunte.
    Jenen Tag erlebten wir als einen langen Tag … Wir besprachen das Stück, brachten es auf einen gewissen Punkt und faßten es für uns zusammen. Yorgos leistete wirklich gute Arbeit. Auch Niso war eine große Hilfe durch die Lösungen, die er fand. Şebnem sollte in ihrer alten Rolle auftreten, doch auf der Bühne sehr wenig sprechen. Die Repliken wurden für sie angepaßt oder sogar neu geschrieben. Wir bekamen Hunger und ließen Pizza kommen, wir bekamen Durst und tranken Unmengen von Cola und Bier. Auch Zafer Bey und Çela ließen sich von unserer Begeisterung anstecken und trugen einige Kleinigkeiten bei. Manchmal trennten wir uns in Zweier- und Dreiergruppen. Alles, was wir redeten, war für diese Erzählung wichtig und bedeutsam. Zumindest mir erschien es so. In den Augenblicken, als ich mit Necmi allein war, fragte ich ihn, ob er Şebnem seine Absicht mitgeteilt habe. Nein, aber er hatte sich vorbereitet und würde diesen Schritt in ein paar Tagen tun. Er hatte bloß bei der Herfahrt im Auto von Zafer Bey schon scherzhaft gesagt: »Oh, du bist ja sehr schön geworden, ich werde dich entführen, sieh dich vor!« Und sie hatte ganz verschmitzt darauf geantwortet: »Das denkst du

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