Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
Vom Netzwerk:
dir wohl so! … Als ob das so leicht ginge! …« Und nach einer Weile des Schweigens hatte sie hinzugefügt, als wollte sie das Gesagte erklären: »Ich fliehe, wohin ich will und zu wem ich will … Du weißt, dazu bin ich fähig …«
    Wer wollte, konnte auch in diesen Worten viele Bedeutungen und Hintergründe suchen. Doch in diesen Augenblicken brauchten wir nicht so weit zu gehen. Die Tür hatte sich mit vielsagenden Worten ein wenig geöffnet. Soviel mußte erst einmal für uns alle reichen. Während wir zwischendurch dieses kurze Gespräch führten, fing ich Şebnems Blicke auf, mit denen sie uns leicht lächelnd beobachtete. Ich konnte nicht wissen, worüber sie lächelte. Mir wäre am liebsten gewesen, sie hätte die beiden Männer oder Jungen, die sie ins Leben zurückholen wollten, freundschaftlich betrachtet. Was ich in jenem Moment sehen konnte, war, daß sich hinter dem unbestimmten Lächeln wieder ein Sturm verbarg, der in ihrem Inneren losbrach. Das spürte ich. Deswegen setzte ich alles daran, ein Weilchen mit ihr allein zu sein. Als mir das gelungen war, fragte ich sie, wie es ihr ginge. Die Antwort war sowohl ehrlich als auch – offen gestanden – besorgniserregend.
    »Ich habe Angst … Ich hatte gedacht, daß ich nie mehr zurückkehren würde …«
    Ich konnte mit ihr in dem Augenblick nicht über diese Angst reden. Selbst wenn wir es gewollt hätten, weiß ich nicht, wie weit wir damit gekommen wären. Doch auch ich hatte offen gestanden Angst vor dieser Angst. Es blieb nur zu hoffen, daß wir im Laufe der Tage auch darüber würden sprechen können. Nur so konnte ich mich erleichtert fühlen. Ich drückte ihren Arm. Wie anders hätte ich signalisieren können, daß ich ihr zur Seite stehen wollte … Außerdem hatte ich ja weitere Informationen. Hatte ich mit dieser unbestimmten Geste allein mir sagen wollen, was es zu sagen gab? Wer weiß … Für mehr war nicht Zeit.
    Im Verlauf des Tages ergriff ich die Gelegenheit, für eine kurze Weile auch mit Şeli allein zu sein. Ich hatte den Mut, sie zu fragen, ob sie und Yorgos neue Sachen erlebt hätten. Die ›Sachen‹ in dieser Frage retteten uns, sie konnte den Ausdruck verstehen, wie sie wollte. Sie antwortete mir mit dem verführerischen Lächeln, das ich so liebte und das ihr so gut stand. Dabei sagte sie kein einziges Wort … Es schien in ihrem Lächeln jedoch ein tiefer Schmerz zu liegen … Ein Schmerz, der sich nicht verstecken, der sich aber nur durch einen Blick mitteilen wollte. Ich konnte die Traurigkeit sehen, die aus jenem Schmerz entstand. Ich hörte an dem Punkt auf, wo ich aufhören mußte. Als Yorgos mir ins Ohr flüsterte: »Wir hätten das nicht erlebt, wenn du uns nicht zusammengebracht hättest«, half mir das nicht viel weiter. Genausowenig Niso, der zu mir kam, um mich auf ihr Verhalten hinzuweisen, wenn sie alleine miteinander sprachen, und mir zuraunte: »Für meine Begriffe vögeln die beiden«, wobei er sich bemühte, möglichst nur mich seine aufgeregte Stimme hören zu lassen …
    Es passierte, was passierte, und es wurde geredet, was man reden konnte. Es blieb uns wieder überlassen, die Zukunft zu finden und an einem Platz in unserem Leben einzuordnen. Tat nicht jeder letzten Endes, was er tun konnte, mochten andere sagen, was sie wollten? … Jener Tag war eben so ein Tag … Doch von wo aus immer man es auch betrachtete, wir leisteten eine gute Arbeit. Nach den Textänderungen hielten wir eine kleine Leseprobe ab. Das war genug, für jenen Tag war es genug. Wir konnten die Probe für die nächste Woche ansetzen. In der übernächsten Woche konnten wir das ›Stück‹ endlich auf die Bühne bringen. Ich würde den Text in korrigierter Form kopieren und ihn innerhalb von zwei Tagen allen zukommen lassen. Wer würde sich in diesem Zeitraum wo befinden? Für Necmi und Niso war das keine Frage. Sie waren sowieso in Istanbul. Bis zur Rückreise von Niso war noch viel Zeit. Eigentlich war es auch für Şebnem keine Frage. Sie gehörte jetzt sozusagen zu uns. Doch Şeli mußte nach Izmir zurück, sich um ihre Geschäfte und um die Einladungen kümmern … Es gab natürlich noch einen anderen Grund, der sie zwang, nach Izmir zurückzufahren. Doch sie konnte uns in dem Moment diesen Aspekt ihres Lebens nicht zeigen. Yorgos würde nach Athen fliegen und dann wiederkommen. Auch er hatte Dinge in seinem dortigen Leben zu regeln. Nach seiner Rückkehr würde er noch einmal acht bis zehn Tage bleiben. Der weitere Ablauf

Weitere Kostenlose Bücher