Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
angekommen waren, parkten wir an einer geeigneten Stelle. Danach klingelte ich am Schultor, um möglichst gut das Amt des Fremdenführers auszufüllen, das man mir übertragen hatte. Ich wußte, daß wir erwartet wurden. Überflüssig zu sagen, daß ich zwei Tage vorher erneut in die Schule und auf demselben Weg zum Direktor gegangen war, um ihm mitzuteilen, wir würden am Wochenende kommen. Er hatte sofort mit Hilfe seiner Sekretärin jemanden beauftragt, der uns betreuen sollte. Auf meinem Weg hinaus hatte ich diesen Hausmeister gefunden und ihm zum Dank ein gutes Trinkgeld in die Hand gedrückt. Meine Eigenschaft, Dinge nicht dem Zufall zu überlassen, zeigte ausreichend Wirkung. Schließlich mußte man auch dieses Spiel, wie man so schön sagt, gemäß den Regeln spielen. Auf diese Weise verschaffte ich mir die Beruhigung, für eine Mühe entsprechend bezahlt zu haben …
Sobald der Angestellte mich sah, begegnete er mir mit der erwarteten Ehrerbietung und Freundlichkeit. Und natürlich auch meinen ›Gästen‹ … Indem er fragte, ob sie alle frühere Absolventen seien … Offensichtlich wollte er nett zu ihnen sein. Necmi antwortete auf die Frage mit einem »Ja leider«, Yorgos dagegen mit »Entschuldigung, aber so ist es«. Wir lachten alle ein bißchen. Selbst der Hausmeister lachte, vielmehr versuchte er es. Er war über die Antworten wohl verblüfft, sicher hatte er andere erwartet … Um ihn nicht zu verstimmen, nutzte ich die Gelegenheit, ihm zu sagen, daß Theaterschauspieler solche unerwarteten Reaktionen zeigen konnten und daß sie eigentlich äußerst aufgeregt seien, in ihre alte Schule zurückzukehren. Er betrachtete die Situation noch immer mit Befremden. Doch diese Erklärung beruhigte ihn wohl ein bißchen. Zudem war das, was ich gesagt hatte, keine Lüge. Weder daß Schauspieler unerwartete Reaktionen zeigen konnten noch daß sie eigentlich sehr aufgeregt waren, auch wenn sie das sowohl bei ihrem Spiel als auch in diesem Augenblick so gut wie möglich zu verbergen suchten … Wie sollten sie diese Aufregung nicht verspüren, da ja selbst ich, der schon vorher dort gewesen war, sie verspürte. Auf dem Weg durch den Garten fragte ich den Hausmeister zuerst, ob wir in das übrige Gebäude hineindürften. Ich wollte meine Freunde in der Schule herumführen. Freilich durften wir. Er sagte sogar, er könne einen Tee für uns aufbrühen. Das war eine gute Idee. Doch zuerst einmal würden wir einen Rundgang machen. Wir betraten das Gebäude und schauten in die leeren Klassenzimmer. Allen stand nicht bloß Aufregung, sondern auch Freude ins Gesicht geschrieben. Eine – wie mir schien – etwas angestrengte Freude, um die Aufregung zu überdecken … Plötzlich rief Şebnem: »Çaça kommt!« Çaça war der Spitzname des für die Schulstrafen verantwortlichen ›frère‹, den alle fürchteten. Diejenigen, die zu jener Zeit diese Schule besucht hatten, wußten sehr wohl, wer gemeint war. Necmi fing an, ihn nachzuahmen, und schrie: » Yorgo, retenu !« – »Yorgos, ab zum Nachsitzen!« Wer hätte je diesen Satz vergessen können, mit dem man seiner Freiheit beraubt wurde? … Yorgos aber antwortete wie ein Schüler, der sich ungerecht behandelt fühlt, und wehrte sich, wie es damals üblich war mit: » Mais cher frère! « – »Aber lieber frère!«
Wir betraten ein Klassenzimmer. Niso wollte, daß sich alle in die Bänke setzten, dann begann er, Eşref Bey zu imitieren. Noch immer war er unheimlich gut darin, jemanden nachzuahmen. Sein ›komödiantisches Timing‹ schien ihm angeboren. Şebnem hingegen ahmte die Geschichtslehrerin Fahrünissa Hanım nach, die ich nie gemocht hatte, doch nun gab es für mich keinen Grund mehr, sie nicht zu mögen, zumal ich nicht mal wußte, ob sie überhaupt noch lebte. Wieder saßen wir in den Bänken. Sie tadelte Necmi mit den Worten: »Necmi, Necmi, du wirst noch ausrutschen … Wenn du hinfällst, platzt dir der Kopf! … Dummkopf! …« Eigentlich war dieser Satz nach all den Jahren sehr bedeutungsvoll und betroffen machend, insbesondere wenn man daran dachte, von wem er zu wem gesagt wurde. Doch in diesem Augenblick konnte ich unmöglich über diese Bedeutung nachdenken. Denn nun ging es vor allem darum, jene Momente noch einmal zu erleben. Ich guckte zu Zafer Bey hin. Er lächelte und schaute mich ebenfalls an. Er hatte wahrscheinlich gemerkt, daß ich ihn angeschaut hatte. Er zwinkerte mir zu. Aus dieser Geste schloß ich, daß wir am richtigen Platz
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