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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Ich suchte Kraft zu schöpfen aus Worten, von denen ich wußte, daß er sie liebte.
    »Sei still! … Nicht weich werden! … Wir haben uns auf den Weg gemacht, und wir gehen den, solange wir können! …«
    Er ergriff meine Hand und ich die seine. Ich schaute ihm ins Gesicht und begann die unvergeßliche Komposition von Timur Selçuk zu dem Gedicht von Nâzım Hikmet zu summen …
     
    »Wie Schiffe gegen die Wellen kreuzend
    Sind wir aufgebrochen,
    Teilen die Finsternis mit unseren Körpern.
    Auf zu den Gebirgsketten mit den kältesten Winden
    Den tiefsten Klüften
    Den strahlendsten Lüften.
    Hinter uns wie Feindesauge
    Der Weg der Finsternis
    Vor uns Kupferschalen voll Sonne.
    Wir sind unter Freunden
    Am Tisch der Sonne …«
     
    Er sang leise murmelnd mit. Wir hatten weder diese Worte noch das dazugehörige Gefühl vergessen … Als wir zum Refrain des Liedes kamen, erhoben wir beide die Stimme. »Wir sind unter Freunden … Am Tisch der Sonne …« Nur wir konnten die Ergriffenheit in unseren Stimmen spüren. Ebenso wie die, die jene Tage mit uns erlebt hatten … In diesem Augenblick sah ich die Konzertsäle wieder vor mir, in denen dieser Refrain wiederholt worden war. Es war mir egal, daß unsere Stimmen aus meinem Zimmer, das sich im Zwischengeschoß des Ladens befand, nach draußen drangen. Dieser Augenblick war von unschätzbarem Wert. Wie man sah, kehrte sowohl das Gedicht als auch das Lied in unsere Gegenwart mit einem ganz anderen Gefühl zurück, um einer ganz anderen Hoffnung willen als damals. Doch es erzählte uns auch von etwas Unveränderlichem. Wieder waren wir Seite an Seite, Hand in Hand … Der Unterschied war, daß wir uns wahrscheinlich mehr und mit echteren Gefühlen ans Leben klammern wollten. Dann tranken wir noch einen Tee. Da sagte er, er würde neue Möbel für die Wohnung kaufen. Das hätte er bisher nie für notwendig gehalten, doch nun sei die Situation anders. Es müsse auch neue Kleidung für Şebnem besorgt werden. Dafür würde er Çelas Hilfe erbitten. Er wirkte ziemlich beschäftigt mit den Vorbereitungen für das künftige Leben. Ich hörte ihm zu. Indem ich mich um unserer Vergangenheit und Zukunft willen bemühte, jedem seiner Worte Aufmerksamkeit zu schenken. Wir tranken noch einen Tee. Dann sprachen wir auch über andere Themen und über das ›Spiel‹. Wir tratschten sogar über Şeli und Yorgos und dachten uns Geschichten über sie aus. Wenn sie uns gehört hätten, wären sie uns wohl sehr böse gewesen. Seine Befürchtungen hatten sich wohl ein wenig gelegt. Dann erhob er sich und sagte, er wolle nun ein wenig allein sein. Das konnte entweder ein gutes Zeichen sein oder ein schlechtes. Doch ich erforschte seine Gefühle nicht weiter. Denn ich wußte, wenn er das sagte, dann wollte er wirklich lieber allein sein. Ich erinnerte ihn nur noch an das Fußballspiel am Sonntag. Danach könnten wir irgendwohin gehen, um etwas zu trinken. Das sei ein guter Gedanke, daran sollten wir festhalten … Wir würden noch mal darüber sprechen, denn am nächsten Tag würden wir uns sowieso zu den Proben treffen. Zuerst wollten wir bei mir zu Hause zusammenkommen, dann zur Schule fahren. Er sagte aufgeregt, er würde Şebnem wieder begleiten. Er hätte das gar nicht zu sagen brauchen. Wir beide wußten sowieso, daß die Erzählung so weiterlaufen mußte.

Nach Jahren in denselben Korridoren
    Auf den ersten Blick mochte es nicht ganz logisch erscheinen, sich zuerst bei uns zu Hause zu treffen, wenn wir in die Schule wollten. Vor allem wenn man bedachte, daß einige von uns dort ganz in der Nähe wohnten … Doch nachdem wir ein wenig darüber geredet hatten, hatte sich der Gedanke durchgesetzt, gemeinsam und gleichzeitig in die Schule zurückzukehren. Alle waren aufgeregt. Das konnte ich verstehen. Ich konnte auch verstehen, daß einige von uns zögerten oder sogar zurückwichen. Wenn wir zusammen hingingen, bedeutete das auch, daß wir aus den Schwächen, den Befürchtungen der jeweils anderen Kraft schöpften. Sowohl bei unserem Zusammentreffen am Morgen als auch bei unserer Hinfahrt gab es viele Anzeichen, die mein Gefühl bestätigen konnten. Die Einzelheiten waren nicht wichtig. Ich sah, dies war schließlich das Gefühl, das uns alle beherrschte. Wir fuhren wieder mit zwei Autos. Das eine war meins, das andere gehörte Zafer Bey. Çela, Yorgos und Şeli fuhren bei mir mit, Niso fuhr mit Şebnem und Necmi im anderen Wagen. Wir fuhren wieder dicht hintereinander her. Nachdem wir

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