Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
waren.
Danach gingen wir in den Schulhof hinaus. Alle erinnerten sich an etwas oder wollten die anderen erinnern. Die Männer gingen mit etwas schnelleren Schritten auf den Platz zu, der jenseits des Schulhofs lag. Dort hatte sich der Fußballplatz befunden. Ich wußte, was sie erwartete. Es gab keinen Fußballplatz mehr. Statt dessen standen dort jetzt zwei Gebäude, die anderen Zwecken dienten. Die Tore waren von anderen beschlagnahmt worden … Übriggeblieben war eine kleine Fläche zwischen den beiden Gebäuden, die nicht mal bis zu den Strafräumen reichte. Hörten auch sie so wie ich, als ich die Stelle zum ersten Mal erblickt hatte, jene Stimmen, jene weit entfernten Stimmen? … Ich erhielt die Antwort auf diese Frage schon nach kurzer Zeit. Necmi holte aus dem Abfallkübel in der Nähe eine leere Coladose und warf sie mitten auf den Platz. In seinem Gesicht lag eine freundliche Aufforderung. Er mußte nichts erklären. Er brauchte kein einziges Wort zu sagen. Wir stürzten gleich los und begannen mit der Coladose Fußball zu spielen, als hörten wir jene Stimmen in uns. Necmi, Niso, Yorgos und ich … Wir liefen dem Ball in unserer Phantasie nach … Zur Erinnerung an jene Tage … Das Spiel, das wir noch spielen konnten, war inzwischen nämlich so ein Spiel. Nach all den Jahren nur noch so ein Spiel … Der Hausmeister, der unser Geschrei und Gelächter gehört hatte, kam herbeigelaufen und schickte sich an, uns lächelnd zuzuschauen. Eigentlich war er noch immer verblüfft, womöglich konnte er irgendwie nicht fassen, daß große, erwachsene Männer so ein Affentheater veranstalteten, doch offensichtlich blieb er von der Komik der Situation nicht unberührt. Zafer Bey, Şebnem, Çela und Şeli begleiteten uns mit Beifallsbekundungen. Doch das Spiel dauerte nicht sehr lange. Nach zehn Minuten waren wir schon außer Atem. Wir setzten uns auf den Boden und versuchten einander lachend zu zeigen, wie alt wir doch geworden waren. Ich bedeutete dem Hausmeister lachend und nach Luft ringend, daß er den Tee nun zubereiten könne. Daraufhin entfernte er sich, erleichtert, endlich eine vernünftige Arbeit tun zu können. Dann erhoben wir uns und spazierten wieder im Garten herum. Alle versuchten, den beiden Fremden unter uns angefangen beim Fußballplatz alles mögliche zu erzählen, was uns gerade einfiel. Und sich beim Erzählen zu erinnern und die anderen zu erinnern …
So verging ebenfalls etwa eine halbe Stunde. Das mochte für den Hausmeister genügend Zeit sein, den Tee ziehen zu lassen und sich wieder zu fassen. Als er mit dem Tablett mit den vollen Teegläsern zurückkam, wirkte er tatsächlich etwas gefaßter. Er hatte seine Scheu abgelegt und fing an, uns vorsichtig auf die Schippe zu nehmen. Natürlich tat daraufhin niemand befremdet. Er hatte also die Zeit, in der er allein gewesen war, gut genutzt. Wieder einmal bewährte sich die Schlauheit, mit der man dem Leben gegenüber ständig auf der Hut sein mußte, um sich in den Großstädten nicht unterkriegen zu lassen … Wir gingen in den Theatersalon hinüber. Besser, wir tranken unseren Tee dort, um so langsam in die Stimmung des Stücks einzutauchen.
Als wir den Salon betraten, waren alle beeindruckt. An die Stelle des Mehrzweckschuppens unserer Schulzeit war ein wirklicher Theatersalon mit Bühne, Sesseln und Beleuchtungsanlage getreten. Wie konnte man bei diesem Anblick unbeeindruckt bleiben? … Während wir unseren Tee tranken, versuchten wir einander ins Gedächtnis zu rufen, was uns von den alten Bildern des Saales noch in Erinnerung war. Wie wir bei Konzerten auf Hockern vor der behelfsmäßigen Bühne aufgereiht gesessen hatten … Wir erinnerten uns an die Konzerte in jenem Saal, besonders an jenes Konzert von Cem Karaca, an die Debattierübungen 22 und die Zeugnisfeiern … Jene Augenblicke hatten wir ebenfalls nicht vergessen können, hatten wir nicht vergessen … Wir erinnerten uns nur an manche Einzelheiten nicht. An Einzelheiten, die in der Vergangenheit irgendwo verlorengegangen waren, die nicht dann zu uns zurückkehrten, wenn wir es wollten, sondern wenn wir es nicht erwarteten … Dennoch erwuchs eine Erinnerung aus der anderen … Zu diesen Erinnerungen gehörten die Karatestunden auf den Matten am Boden. Diese gab nach Absprache mit dem Direktorat Hakkı Koşar, und wir hatten davon geträumt, den schwarzen Gürtel zu erlangen wie er … Mein Vater war dagegen, daß ich solche Stunden nahm, doch ich war in einem Alter, wo ich
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